Aufgewachsen ist er im sauerländischen Plettenberg in einer Arbeiter-Familie. Mit dem Zug ging es einst für Martin Becker und der ganzen Familie an die Ostsee. In der Ferienwohnung wurde dann das sorgsam Ersparte für Fischbrötchen eingesetzt, eine, maximal zwei Wochen kam man raus. Geboren 1982 in Plettenberg, Sohn einer Näherin und eines gelernten Bergmanns. Drei Geschwister, das Geld immer knapp, die Mutter überfürsorglich, der Vater kein Mensch der großen Worte. Die älteste Schwester sitzt im Rollstuhl, was bei der Adoption noch keinem aufgefallen sei, wie es bei Becker heißt. Aber jetzt nehme man es eben so hin. Dann kamen doch noch drei eigene Kinder dazu, der Autor zuletzt.
Nachdem es bereits in »Marschmusik« und »Kleinstadtfarben« autobiografische Elemente gab, folgt jetzt Martin Becker seiner eigenen Geschichte über die Kindheit und seine Jugend. Eine Geschichte, wie es sie zu Tausenden im Ruhrgebiet gibt. Es ist die Geschichte vom Aufstieg, von der Romantik des Vergangenen und von der Kindheit, die trotz finanzieller Nöte und weniger Worte nicht weniger wert ist, oder wie Martin Becker selber schreibt: »Aber man will ja immer erst dann nach Hause, wenn es nicht mehr geht.« Nach dem Tod von Mutter, Vater und Schwester nun also folgt die eigene Biografie als Roman. Keine narzisstische Nabelschau einer Jugend in ach-so prekären Verhältnissen und auch keine romantische Verklärung des Arbeitermilieus, wo der Schweiß nach ehrlicher Arbeit riecht, der Fleischkonsum als Luxusgut und nicht als letzte Revolte gegen die Vernunft der moralisch und finanziell besser Gestellten gilt. Entstanden ist ein Roman, der so schmerzhaft ehrlich, so kritisch sich selbst gegenüber und dabei immer noch so humorvoll ist. »Die Arbeiter« ist keine deutsche Version von Didier Eribon, keine cis-männliche Perspektive eines Streulichts. Es ist eine Geschichte, die seine eigene ist und trotzdem für so viele Geschichten steht. Martin Becker schildert das, was alle kennen, gleich welcher Klasse: Wut auf den Vater, Verachtung für die Mutter, die Schuldgefühle dafür und die Hoffnung auf ein besseres Leben: Das ist kein soziales Phänomen, es ist ein menschliches.
Martin Becker: »Die Arbeiter«, Luchterhand 2024, 304 Seiten, 22 Euro
Martin Becker liest am 11. April im Literaturhaus Dortmund, am 22. April im Kölner Literaturhaus