Dass Kunst zwar schön sei, aber viel Arbeit macht, wissen wir seit Karl Valentin – oder spätestens seit der Tüten-Zitatlektüre beim Postkartenkauf in Museumsshops der Buchhandlung König. Der Mann hatte recht, die Kunstproduktion gestaltet sich quer durch alle Genres meist als anstrengendes Tag- oder Nachtwerk und erfordert viel Disziplin. Dass gerade Kreative oder Künstler*innen durch das fehlende Angestellten-Korsett in Gefahr laufen, ihre Arbeit aufzuschieben und Abgabetermine prokrastinativ reißen, ist nicht belegt. Es gibt aber die entsprechende Fälle; oft verbunden mit einem eigenwilligen Tagesablauf.
Abgabetermine im Nacken
Nachzulesen lässt sich das in den »Musenküsse«-Büchern von Mason Currey. In den ersten beiden Bänden hat sich der amerikanische Journalist, der für die New York Times schreibt, mit den täglichen Ritualen männlicher Künstler beschäftigt. Nun hat er nachgelegt – kürzlich ist ein neuer Band ausschließlich über den Arbeitsalltag von Künstlerinnen erschienen. Die Idee hatte Currey, als er selbst vor sich hin prokrastinierte und ein Thema für einen neuen Blog suchte, obwohl ihm schon andere Abgabetermine im Nacken saßen.
»Wochen verstreichen, in denen ich nicht male, bis ich es schließlich nicht mehr aushalte.«
Gerhard Richter
Der Maler Gerhard Richter bekannte sich etwa als »leidenschaftlicher Prokrastinierer«, der zwar jeden Tag in sein Atelier geht, aber nicht ständig malt, sondern einfach auch mal nur Dinge umsortiert. Dorothy Parker schaffte es nicht, ihre Texte für den New Yorker abzugeben und begann erst nach mehrmaligen Anrufen der Redaktion mit der Arbeit: »Nicht selten behauptete sie, den Artikel zerrissen zu haben, weil er so grottenschlecht gewesen sei. Und an diesem Punkt fing sie dann an zu schreiben.« Die Schriftstellerin Zadie Smith nutzt Computertechnik gegen ihre zeitweilige Unproduktivität – im Nachwort ihres Romans »London NW« dankt sie der Internetblocker-Software »Freedom« und »Self Control« dafür, dass sie ihr »die nötige Zeit verschafft haben«.
Isabel Allende schrieb vor allem nachts
Anders als ihre männlichen Kollegen müssen viele von Curreys Künstlerinnen neben ihrer Arbeit oft noch die Familie oder einen Zweitjob unter einen Hut kriegen. Etwa Isabel Allende, die jedes neue Buch rituell am 8. Januar zu schreiben beginnt und während ihrer Arbeit am »Geisterhaus« parallel einen Vollzeitjob als Schulleiterin hatte, ihre beiden Kinder großzog und nur nachts schreiben konnte. Miranda July nahm 2016 die Geburt ihres Kindes hingegen als Königsdisziplin gegen das Aufschieben: »Endlich mal eine Herausforderung! Mal sehen, ob ich mit einer Dreiviertelstunde pro Tag einen Roman schreiben kann!« Einer Marlene Dietrich lag so etwas völlig fern – sie war eine knallharte Perfektionistin im Beruf und bei der privaten Hausarbeit. »Je mehr Arbeit«, schrieb sie einst, »desto weniger Zeit für Neurosen«.
Mason Currey
»Musenküsse«, »Mehr Musenküsse«, »Musenküsse – Die täglichen Rituale berühmter Künstlerinnen«, Kein & Aber, 288 Seiten, 16 Euro