Nein, heiter ist der Titel wahrlich nicht. Jonas Rumps Erzählband heißt zwar schlicht »Nottuln«. Dann aber hat ihm der in Berlin lebende Autor noch diesen Zusatz beigegeben: »Traurige Geschichten aus einer traurigen Kleinstadt«. Was soll man da erwarten? Sicher ist: Eine Coming-of-Age-Geschichte über seinen Ich-Erzähler ist dieses Buch nicht geworden. Sondern schlichtweg ein lesenswerter Band über Kleinstadtmenschen, von denen Rump in lose miteinander verbundenen Episoden erzählt. Chronistenhaft, distanziert und wunderbar pointiert.
Angesiedelt sind diese Geschichten Anfang der Nullerjahre in, man ahnt es schon, Rumps Heimatstadt. Natürlich allesamt erfunden, wie der 1990 geborene Autor im Vorwort betont. Nur der ein oder andere Artikel aus den Westfälischen Nachrichten hätte ihm als Inspiration gedient. Und so traurig müsste man in Nottuln eigentlich gar nicht sein: 12.000 Menschen leben hier. Es gäbe ausreichend Schulen, Läden und einen anständigen Italiener, schreibt Rump. Die obligatorische Feindschaft zum Nachbarort (Billerbeck) und Menschen mit sehr westfälischen Namen wie Winkelkötter, Kottenhorst und Schulte-Ochtrup. Man kennt sich und erzählt einander die Geschichten der anderen, die natürlich immer viel tragischer als die eigenen sind.
Eine Tragik, die man vielleicht erst aus der erwachsenen Perspektive erkennt. Rump erzählt die Geschichten der Kinder und Jugendlichen des Ortes genauso wie die der Erwachsenen, und auch die, in denen sich die Generationen begegnen, sich aber nicht richtig verstehen können. Da ist der Vater einer offensichtlich dysfunktionalen Kleinfamilie, der den ungern gesehenen Kifferfreund seines Sohnes eines Tages im Puff trifft: »Du kommst doch auch aus Nottuln!« Es gibt ein älteres Außenseiter-Ehepaar, denen man ihre Unfreundlichkeit in all der Einfamilienhaus-Idylle gar nicht mehr übelnehmen kann, kaum hat man erfahren, dass sie ungewollt kinderlos geblieben sind. Da ist der Fahrlehrer, dessen Witz »So, und jetzt fahren wir zur amerikanischen Botschaft«, wenn es während der Fahrstunde wieder zu McDonald’s geht, über Generationen von Jugendlichen weitergetragen wird. Es gibt die obligatorischen Nachbarschaftskriege vor Gericht, die Kriegslegenden, die verlorenen Söhne und Töchter und die nicht gelebten Träume.
Rump erzählt diese Geschichten in einem nüchternen Ton, aber mit viel Empathie und Sinn für die absurd-komischen Momente des Kleinstadt-Alltags und seine liebenswerten Protagonist*innen. Da wäre manche etwas platte Pointe am Ende der Geschichten gar nicht nötig, entfaltet sein Humor doch auch so seine Wirkung. Trotz aller Komik zieht sich durch die Episoden eine leise Traurigkeit, die einen die Enge der Kleinstadt und die Begrenztheit der Möglichkeiten spüren lässt, bis man selbst nur noch entkommen möchte aus der Provinz. Ob sie nun Nottuln oder anders heißt.
Jonas Rump, »Nottuln. Traurige Geschichten aus einer traurigen Kleinstadt«, Sukultur, 100 Seiten, 15 Euro