Wieviel CO2 produziert die Kultur? Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen wollte es genau wissen und hat seinen Ausstoß an Klima-Gas in der Spielzeit 2019/20 analysiert. Als eines der ersten Opernhäuser in Deutschland. Erst jetzt? Tatsächlich fängt die Kultur gerade an, sich mit der eigenen Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Nicht nur in den Bühnenhäusern.
Mit Fahrrädern hat »Julie’s Bicycle« eigentlich nichts zu tun. Eher mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Kultur: Die britische Vereinigung mit dem prosaischen Namen erstellt Berechnungsmodelle für Kunst- und Bühnenhäuser, um den CO2-Ausstoß des eigenen Betriebs zu analysieren – so auch für das Musiktheater im Revier (MiR). »Wir wollten mit gutem Beispiel voran gehen«, sagt MiR-Geschäftsführer Tobias Werner, der in der Spielzeit 2019/2020 damit begann, den Energieverbrauch seines Hauses in den Blick zu nehmen. Ausgerechnet in einer Zeit von Lockdown-Schließungen und verringertem Besucheraufkommen. Auch wenn die Zahlen aus dieser Zeit daher nur bedingt zuverlässig sind, hält sie Werner für einen wichtigen ersten Schritt. »In Großbritannien gibt es bereits einen riesigen Datenbestand.« Positive Effekte würden allein schon dadurch entstehen, dass Zukunftsaufgaben sichtbar werden.
Erste Ergebnisse zeigen: Der größte Posten mit über 70 Prozent des CO2-Ausstoßes liegt am Musiktheater im Revier im Energieverbrauch, den zweitgrößten machen Dienstreisen und Arbeitswege des Personals mit 16 Prozent aus. Auf Platz drei: Die Mobilität des Publikums mit immerhin noch 6 Prozent. Was fängt das MiR nun mit diesen Daten an? »Aufgrund der genauen Zahlen erarbeiten wir langfristige Ziele«, so Werner. Zeitnah sind viele kleinere Schritte geplant: Unter anderem sollen gesicherte Fahrradständer für die Mitarbeiter*innen aufgestellt werden, damit ihr Arbeitsweg möglichst klimaneutral wird. Dann wird auf Recyclingpapier umgestellt, Wasserspender werden aufgestellt und direkt aus der Leitung gespeist und die Mülltrennung optimiert. Die Anreise des Publikums mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterstützt das MiR schon länger durch das Angebot eines »Theatertaxis«, das die Lücken im spätabendlichen Fahrplan schließt. Daneben ist Gelsenkirchen eine von fünf europäischen Musterstädten des EU-Projektes »C-Change« mit dem gleichen Ziel: ein Bewusstsein für den eigenen ökologischen Fußabdruck zu schaffen.
Tino Sehgal als Vorreiter
Auch PACT Zollverein in Essen versucht mit den ÖPNV-Betrieben, Lösungen für die Anreise seines Publikums zu finden, bei allen Drucksachen wird auf Beschichtungen verzichtet, um sie recyclingfähig zu halten, Künstlerreisen innerhalb von Deutschland und aus dem direkten Ausland sollen nur noch mit der Bahn stattfinden. Im Tanz- und Performancebereich setzten zwei international renommierte Künstler bereits 2019 ein vielbeachtetes Zeichen: Der französische Choreograf Jérôme Bel und der Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig und Folkwang-Absolvent Tino Sehgal verzichteten auf Flugreisen – aus Klimaschutzgründen.
Mobilität ist auch in anderen Institutionen ein wichtiges Thema. Miriam Szwast, Kuratorin der fotografischen Sammlung des Museum Ludwig in Köln, hat eine interne Arbeitsgruppe zu Nachhaltigkeit ins Leben gerufen. Im musealen Kontext spielen vor allem weltweite Kunsttransporte eine wesentliche Rolle. »Warum werden die Werke eigentlich nicht auch mit der Bahn verschickt?«, fragt sie zu recht. Für September 2022 plant sie die Ausstellung »Grüne Moderne«, in der ganz auf Leihgaben verzichtet wird: Nur die Arbeiten der eigenen Sammlung sind dann physisch zu sehen, für Vergleichswerke erarbeitet Szwast gerade Möglichkeiten einer virtuellen Präsentation. Die größte Freude der noch jungen Arbeitsgruppe am Museum Ludwig war als die Stadt bekannt gab, ab dem 1.1. diesen Jahres komplett auf nachhaltig produzierten Strom umzustellen. Das Museum hatte sich gemeinsam mit anderen dafür stark gemacht und kann damit einen wichtigen Schritt hin zu den Zielen des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung machen. Ein anderer Punkt: das Einsparen von Strom durch den konsequenten Einsatz von LED-Beleuchtung. Auch das wurde von der Arbeitsgruppe um Szwast in Angriff genommen.
Initiative von unten
Nachhaltigkeit in der Kultur ist vielerorts auf sogenannte Bottom-Up-Prozesse angewiesen. Wie am Museum Ludwig waren es auch am Schauspielhaus Bochum Mitarbeiter*innen, die die Leitung von Maßgaben in Sachen Klimaschutz überzeugten. »Für ›Die Jüdin von Toledo‹ hat Johannes Schütz dieses großartige Bühnenbild entwickelt, bei dem jeden Abend eine ganze Styroporwand zerstört wurde«, erzählt der Schauspieler Michael Lippold. So brillant er das unter künstlerischen Gesichtspunkten fand, veranlasste es ihn auch, sich gemeinsam mit der Kollegin Veronika Nickl am Schauspielhaus für Nachhaltigkeit zu engagieren. »Klar ist, dass keinesfalls in die künstlerische Freiheit eingegriffen werden darf«, ist Lippold überzeugt. Ein Bewusstsein unter allen Mitarbeiter*innen für klimagerechtes Verhalten zu schaffen, sei der bessere Weg. Entstanden ist ein »Verhaltenskodex«, der allen Verträgen beiliegt. Darin heißt es zur Nachhaltigkeit: »Unser Theater fühlt sich dem Umwelt- und Klimaschutz verpflichtet. Dazu unternimmt es systematische Anstrengungen, um die Umweltbelastungen, die von unserer Arbeit ausgehen, zu verringern. Die ökologische Aufmerksamkeit und Kompetenz aller Mitarbeiter*innen wird gefördert. Der Verbrauch von Strom, Wärme und Wasser soll gesenkt und durch fortlaufende Gebäudesanierung sowie durch umweltschonendes Verhalten jedes*r Einzelnen verringert werden«. Und: »Ziel unseres Theaters ist es, nachhaltiges Reisen bzw. klimaneutrale Mobilität zu erreichen.«
Die Klima-Arbeitsgruppe am Schauspielhaus Bochum bildet so wie die am Museum Ludwig nun eigene lokale und regionale Netzwerke. Mit den Bochumer Symphonikern und dem Museum Bochum wird zusammengearbeitet, mit dem Düsseldorfer Schauspiel besteht ein reger Austausch. Was das MiR in Gelsenkirchen vorgemacht hat, ist am Schauspielhaus Bochum gerade in Planung: Ein umfassendes Klima-Auditing wurde bereits in den aktuellen Finanzplan des Theaters eingepreist.