kultur.west: Frau Kyriakou, Sie arbeiten in Detmold in einem Lichtlabor – was passiert darin?
KYRIAKOU: Unser Lichtlabor wurde 1974 gegründet und war einer der ersten künstlichen Himmel einer Universität oder Fachhochschule in Deutschland. Es ist ein Raum mit vielen Spiegeln im oberen Bereich und einer hinterleuchteten Decke. In Deutschland, insbesondere hier in Detmold, ist der bedeckte Himmel normal für uns. Das spielt auch eine Rolle in der Innenarchitektur, denn bei einem bedeckten Himmel sieht draußen alles grau aus. Unsere Studierenden der Architektur, Innenarchitektur oder Stadtplanung können ihre Modelle mitbringen, die geographische Position eingeben und dann läuft die Sonne über das Modell. So kann man für die verschiedenen Jahreszeiten sehen, wie der Sonnenablauf ist, die Studierenden können den Tageslichtquotienten messen und weitere Untersuchungen machen, zum Beispiel Farben im Raum verändern oder Fenster größer oder kleiner machen.
kultur.west: Warum arbeiten sie nicht mit einem CAD-Programm, das Lichtsituation simulieren kann?
KYRIAKOU:Ich finde es sehr wichtig, dass Studierende mit einem Modell arbeiten können. Aus diesem Prozess des Bauens und Messens heraus denkt man ein bisschen tiefer nach – über die geographische Position, Faktoren wie Klima, Fensterformen oder Verglasung.

kultur.west: Welche Rolle spielt das Licht in der Architektur – je nachdem, wo die Häuser stehen?
KYRIAKOU:Hier in Deutschland ist die Leuchtdichte viel niedriger als in Afrika oder in Australien. Und die Himmelsfarbe ist grauer. Wie können wir also mit einem grauen Himmel an die Innenarchitektur gehen? Die Architekten machen alles grau, grau, grau. Das ist momentan eine Mode, dass alles weiß oder grau ist. Aber wir brauchen auch Farbe. Über die Jahreszeiten gibt es in der Natur verschiedene Farben. Im Herbst ist alles gelb, im Winter gibt es mehr weiß oder tiefbraun. Das können wir in der Innenarchitektur mit Farben, der Textur, mit der Auswahl von Materialien auch beachten.
kultur.west: Aber wenn in NRW der Himmel oft so grau ist – wie kann man dann überhaupt mit Tageslicht planen?
KYRIAKOU: Auch bei einem bedeckten Himmel gibt es Tageslicht, es bringt ein kühles Licht in einen Raum. Selbst im Winter haben wir immer ein paar Stunden am Tag, an denen die Sonne in die Räume kommt. Es ist wichtig dass wir mit Tageslicht planen, egal wo, denn unsere Ressourcen sind begrenzt. Es muss einen neuen Blick auf erneuerbare Energien geben, auf Photovoltaik, aber eben auch auf Tageslichtplanung. In den DIN-Normen steht, wie viel Beleuchtungsstärke wir an einem Arbeitsplatz haben müssen. Das sollte man aber nicht nur mit Kunstlicht planen, auch wenn heutige LEDs weniger Energie benötigen, werden Ressourcen genutzt.
kultur.west: Wir sollen jetzt alle möglichst drinnen bleiben. Hat sich der Blick auf das Tageslicht oder die Verwendung von Kunstlicht verändert?
KYRIAKOU: Wenn wir zu Hause sind – gerade jetzt in der Corona-Zeit – ist es wichtig, dass wir nach draußen gucken können und eine Zeitorientierung haben. Von unseren biologischen Bedürfnissen brauchen wir eine Verbindung mit unserer äußeren Umgebung, tagsüber eine Verbindung mit dem Tageslicht. Auch für unseren Schlaf-Wach-Rhythmus ist das wichtig. Wenn abends alles mit künstlichem Licht beleuchtet ist, bekommen wir keine Ruhe. Wenn es dunkel wird, ist es Zeit, auszuruhen.

kultur.west: Beachten Architekten die Lichtplanung in ausreichendem Maße? Sie ist – auch bei Ihnen – ja eher Bestandteil im Studium der Innenarchitektur, nicht so sehr bei der Architektur.
KYRIAKOU:Ich finde es schade, dass es nicht viele Hochschulen gibt, die auf Tageslichtplanung konzentriert sind. Daraus resultiert, dass Architektur oft nur die äußere Form beachtet. Es gibt Gebäude, etwa von Zaha Hadid oder Frank Gehry, da haben die Leute keinen direkten Blick zum Himmel. Das brauchen alle Leute. Das ist unser Recht als Mensch.
kultur.west: Welche Bedeutung haben Fassadenöffnungen denn in der Architektur?
KYRIAKOU: Ein Fenster ist wie ein Fenster in eine andere Welt. Es ist eine Barriere aber gleichzeitig auch eine Verbindung. Bei der Größe, Form und Position eines Fensters geht es nicht nur darum, wie viel Licht in den Raum fällt, sondern auch, wie es auf Objekte und Menschen fällt, wie man sich fühlt, wenn man einen Raum betritt. Somit ist Tageslichtplanung wahrscheinlich der bedeutendste Aspekt bei der Gebäudeplanung.
Mary-Anne Kyriakou ist Professorin für Lichtgestaltung und Lichtarchitektur an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Die gebürtige Australierin studierte Lichtplanung an der University of Sydney, hat die Festivals Vivid Sydney und i Light in Singapur ins Leben gerufen und war leitende Lichtgestalterin für Meinhardt Consulting in Singapur.