Wir wollen nicht vom Kino ablenken, sondern zum Kino hinlenken, zu dem, was es war und – wieder – ist. In unserer Reihe stellen wir Klassiker des deutschen und internationalen Films vor, die nicht immer zum Kanon gehören, aber Raritäten und Kostbarkeiten sind. Bei einem der Anbieter lassen sie sich ausleihen, als DVD kaufen, zur Not bei youtube besichtigen. Nur Netflix-Serien zu schauen, verengt den Blick.
Das Melodram bindet Sehnsucht an Fatalität. Das heißt, dem utopischen Ziel einer Veränderung ist das Scheitern eingeschrieben, manchmal nur vorübergehend, manchmal dauerhaft. Glück knüpft sich nicht zuletzt an gesellschaftliche Bedingungen.
Hollywoods Leuchtkraft in den satten Farben des Technicolor der 50er Jahre lässt das Erzählte strahlen, selbst wenn es dunkelgerändert ist. Douglas Sirk war ein Meister dieses Genres. Bevor er in den USA Karriere machte, hatte er, der Detlev Sierck hieß und 1897 in Hamburg geboren wurde, für die Ufa gedreht, darunter »Zu neuen Ufern« und »La Habanera« mit Zarah Leander. 1937 flüchtete er mit seiner jüdischen Ehefrau aus Nazi-Deutschland. Sein Dutzend Meisterwerke in der Traumfabrik wurde gekrönt 1959 von »Imitation of Life«. Für Rainer Werner Fassbinder, der Sirk später an seinem schweizerischen Wohnort Lugano, wohin er im Alter gezogen war, besucht hatte, wurde dieser Film zur künstlerischen Wegmarke. Ebenso wie Sirks »All that Heaven allows«, den er dann adaptiert hat. Die Version Fassbinders, der übrigens am 31. Mai 80 Jahre alt geworden wäre, heißt »Angst essen Seele auf« und wurde, mit Brigitte Mira als Putzfrau Emma, einer seiner größten Erfolge – und der Titel sprichwörtlich.
»Imitation of Life« ist die Geschichte einer Schauspielerin und ein Film über die Diskrepanz zwischen behaupteter Emotion und der Echtheit des Fühlens, zwischen Kunst, Karriere und Leben, Wunsch und Wirklichkeit. Lana Turner spielt die Rolle ihres Lebens der Lora Meredith, die um jeden Preis berühmt und ein Star werden will und dafür fast alles zu opfern bereit ist, auch die Liebe ihrer Tochter Susie (Sandra Dee) und des Mannes, der sie heiraten will (John Gavin). Der Ruhm und sein Preis – Hollywood erscheint als »Sunset Boulevard«, wie es bei Billy Wilder heißt, und etwa auch in Filmen von Vincente Minnelli und Robert Aldrich zum Thema wurde.
Parallel dazu und in Loras Leben hineingewoben ist das Schicksal der afro-amerikanischen Annie Johnson (Juanita Moore). Zusammen mit ihrer Tochter, die durch eine Laune der Natur nicht schwarz, sondern hellhäutig ist, wird sie von Lora aufgenommen. Als Haushälterin, guter Geist und Vertraute begleitet und stützt sie deren Aufstieg selbstlos, während die beiden Mädchen wie Geschwister aufwachsen: beinahe, gäbe es nicht den Rassenkonflikt. Während Lora sich ihren Erfolg hart erkämpft, am Broadway und im Film, und auch im Privaten ‚weiterspielt’, bleibt Annie ihr treu. Sarah Jane (Susan Kohner) hingegen will ihren ‚Geburtsmakel’ loswerden, verbirgt ihre Herkunft und geht als Showgirl nach Los Angeles, in ihrer Identität tief gespalten und unglücklich. In einer herzzerreißenden Szene verleugnet sie ihre Mutter und gibt sie als ihre Mummy, also ihre Amme, aus. Annie stirbt bald darauf, sie, die das Zentrum dieser dysfunktionalen Familie war, wie wir heute sagen würden. Ihre Beerdigung wird zur tränenvollen Apotheose. Im Gotteshaus singt die große Mahalia Jackson den Gospel »Trouble of the World« – eine der ergreifendsten Szenen der Filmgeschichte.
Regisseure von Fassbinder bis Almódovar haben »Imitation of Life« bewundert und verinnerlicht als Metapher für ihre eigene Kunst der Abhängigkeiten, Idealisierungen und Illusionen und als Spiegelung ihres scheinhaften Wesens, das Lüge zur Wahrheit erklärt und darin eigene Wahrheit und Schönheit schafft.