Gelsenkirchen zeigt »Der Mann von La Mancha« von Dale Wasserman. Ein Musical im Geist des epischen Theaters.
Gitter. Die Bühne ist ein Gefängnis. Der Dichter Miguel de Cervantes ist der neueste Insasse. Er hat seinen Nebenjob als Steuereintreiber zu genau genommen. In einer Diktatur sind nicht alle gleich, und wer den Falschen auf die Füße tritt, hat ein Problem. Autor Dale Wasserman hat für sein Musical »Der Mann von La Mancha« eine Rahmengeschichte erfunden. Cervantes erzählt die Abenteuer von Don Quijote seinen Mitgefangenen im Knast.
Diese Idee hat mit der Biographie des Schriftstellers zu tun. Cervantes (1547-1616) saß wohl dreimal im Gefängnis und hat wirklich als Steuereintreiber gearbeitet. Wer nun erwartet, dass die Gitter sich öffnen und die Bühne farbig wird, dass Don Quijote gegen Windmühlen kämpft, die er für Riesen hält, dass ein Theaterfeuerwerk abgefackelt wird, der wird enttäuscht. Die Farben bleiben blass, die Rüstung Don Quijotes besteht aus einem zerbeulten Eimer als Helm und einem Blechtablett als Schild. Der Rest ist Fantasie.
Konsequent und schlüssig
Eben darum geht es in Carsten Kirchmeiers konsequenter und schlüssiger Inszenierung. Im Musiktheater im Revier träumt sich kein Bücherwurm in die Welt der damals populären Ritterromane hinein. Vielmehr ist die Weltflucht, die Cervantes beschreibt, politisch motiviert. Der Wahnsinn von Don Quijote ist ein Akt des Widerstands. Er fühlt sich hilflos gegenüber einer Welt, die er nicht versteht, die absurd und brutal ist. Also zieht er sich aus ihr zurück.
Das ist kein Gedankengalopp der Regie – schon das in den sechziger Jahren entstandene Musical reflektiert das epische Theater und die Sozialkritik von Leonard Bernsteins »West Side Story«. »Der Mann von La Mancha« läuft knapp zwei Stunden ohne Pause. Die Musik von Mitch Leigh nimmt spanische Klänge auf, zitiert Volksmusik und erinnert manchmal an einen ein wuchtigen Hollywood-Soundtrack. Mateo Peñaloza Cecconi bringt das am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen ausgezeichnet zur Geltung.
Trotz angeknackster Rippe singt und spielt Philipp Kranjc den Dichter Cervantes oder seinen Helden Don Quijote mit viel Einsatz und baritonaler Macht. Allerdings ist seine Sprache ein bisschen steif und eintönig. Opernsänger wirken oft etwas dressiert, wenn sie Schauspielszenen absolvieren müssen. Absolut glaubwürdig dagegen Elisabeth Hübert als Prostituierte Aldonza, die Don Quijote kurzerhand zu seiner Edelfrau Dulcinea erklärt. Erst findet Aldonza diese Fantasien einfach bescheuert. Sie hat Sex mit jedem, das ist ihr Beruf, sonst kann sie nicht überleben. Aber doch berühren die Ideen etwas in ihr, und schließlich ist sie es, die – obwohl sie zwischendurch vergewaltigt wird – den Geist des Rittertums weiterträgt.
Die Fantasie siegt nicht über die Realität, das wäre verlogen. Aber sie überlebt. Mehr kann man nicht erwarten. Und vielleicht schafft sie es, noch mehr Gewalt und Irrsinn zu überstehen, um irgendwann aufblühen zu können. Diese Hoffnung ist die Botschaft des packenden Musicals. Es bietet dem Publikum keine Flucht aus der Welt, es reflektiert den Eskapismus und feiert ihn als Strategie. Beeindruckend.
»Der Mann von La Mancha«
25. Mai
Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen