Im Bochumer Museum Situation Kunst fallen massenweise Placebos aus der Wand und Pässe haben keine Daten mehr. Die Ausstellung des Kunstgeschichtlichen Instituts der Ruhr-Universität geht der Frage nach, wie die Kunst auf das Glück blickt.
Was für eine Wirkung! Wer schon fast am Ende der Ausstellung den letzten Raum betritt, wird erfüllt. Mit Licht und einer wohligen Wärme, die dieses Licht ausstrahlt. 50 Lichtschläuche, jeweils 50 Meter lang, die das Wort »Glück« schreiben, zusammenhängend in Schreibschrift, damit sie in einem fortlaufen kann. Am Ende (oder ist es der Anfang?) wirbeln sich die Schläuche zu kleinen Haufen. Lauter Lichtpunkte, die im Knäuel noch mehr strahlen. Heike Weber hat diese Glücksfunken inszeniert, so banal wie eindrucksvoll, so schlicht wie schön.
Weniger Freundlichkeit strahlte die Bühne in Dimiter Gotscheffs Beckett-Inszenierung »Glückliche Tage« am Bochumer Schauspielhaus 1997 aus. Winnie steckte dort eingegraben bis zum Hals in einer grauen Ödnis, hinter sich die kühle Weite. So karg, so konzentriert. Die Schauspielerin Henriette Thimig schmierte sich den Lippenstift quer durchs Gesicht und sagte, irgendwie verschroben, den Satz, den sie immer sagt: »Dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.« So viel Fragilität lag in diesen Szenen, in ihren Worten, trotz all der entschiedenen Vehemenz, die Körper und Bühne vordergründig ausstrahlten.
Um eben diese Brüchigkeit geht es auch der Ausstellung »Glückliche Tage« im Bochumer Museum unter Tage, die Markus Heinzelmann vom Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum mit Studierenden kuratierte und die sich nicht nur im Titel an Becketts Endzeit-Groteske orientiert. Die Herkunft des Wortes Glück vom mittelhochdeutschen »Gelücke« oder »lück« verweise auf die Idee einer Lücke, die geschlossen oder einen Mangel, der behoben werden kann, hat Heinzelmann im Ausstellungskatalog geschrieben. Glück habe also immer mit Unglück zu tun. Und so blicken die ausgestellten Werke immer auch auf die Abwesenheit von Glück, auf das Glück als Episode. Carsten Höller hat diese Momenthaftigkeit in ein deutliches Bild gefasst. In seiner Pilz-Vitrine (»Double Mushroom Vitrine«, 2023) sammeln sich in drei Reihen neu zusammengesetzte Pilze – auf der einen Seite Wildpilz, auf der anderen giftiger, bewusstseinsverändernd wirkender Fliegenpilz. Glück und Unglück liegen da ganz nah beieinander. Wobei nicht unbedingt definiert ist, was wozu zählt.
Pillen zum Glück
Wer diesen ersten Ausstellungsraum betritt, wird zuerst allerdings akustisch aufmerksam. Ein Tropfen ist hörbar. Klack, klack. Alle drei Sekunden lässt Höller eine blau-weiße Pille zu Boden fallen – Placebos, heißt es in der Beschreibung (»Pill Clock«, 2015). Nebenan wartet ein Wasserspender auf Bereitwillige, auf Risikofreudige, die solch eine Pille schlucken – vielleicht, um einen Moment lang das Glück zu finden. In jedem Fall, um Kontrolle über ihren Körper abzugeben. Das Glück als flüchtiger Prozess. Dass Glück überbewertet sei, behauptet der portugiesische Bildhauer Rui Chafes, der seine übergroßen, über zwei Meter langen Krückenpaare an die weiße Wand gelehnt hat (sonst platziert er seine schwarzen Skulpturen aus dem Jahr 2005 eher in der Natur). Wie Erinnerungen stehen sie da, an weniger gute Zeiten. Aber auch wie Mahnmale, dass sich uneingeschränkt bewegen zu können sicher nicht das größte Glück ausmacht.
Beeindruckend sind auch die Fotoserien der Ausstellung. Tamara Eckhardt porträtiert in »The Children of Carrowbrowne« (2019 und 2020) Kinder aus irischen Traveller-Familien. Der vielleicht fünf-, sechsjährige Bradley streckt sich nach oben zwischen den Küchenmöbeln eines Wohnwagens, den Blick nach oben, ein überzeugtes Lächeln legt seine Zahnlücke frei. Neben ihm recken sich auch die Blumen aus der Vase. Auf einem anderen steht ein blondes Mädchen lässig auf einem Skateboard, die Hände in den Taschen ihres roten Jogginganzugs. Die Umgebung grau, ihr Blick ernst und angstfrei in die Kamera gerichtet. Erfahrung steckt in diesem Blick, auch Wille. Die Traveller sind die größte ethnische Minderheit in Irland. Sie erlebten Rassismus, Vorurteile und Ausgrenzung, wird im Katalog erläutert. Die Traveller-Kinder seien gezwungen, früh erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Das alles spricht aus dem Blick des kleinen, toughen Mädchens. Feinfühlig, nahezu liebevoll nähert sich die Künstlerin in ihren analogen Fotografien den Kindern. Ein Glück ist es, in ihre Welt zu schauen.
Nan Goldin, 1953 geboren, hat Menschen ihrer Wahlfamilie fotografiert. Das Pärchen aus ihrer Perspektive vom Rücksitz aus und Trixie im verrutschten Trägerkleid, Zigarette im Mund, Bierdose vor sich – New York 1979. Oder das Porträt ihres an den Folgen von AIDS verstorbenen Freundes. Aufgebahrt liegt er da, den Unterkiefer noch hochgebunden, eine Rose auf dem weißen Laken, das seinen Leib bedeckt. Goldin fotografiert ihr Leben, in all seinen schön-erschreckenden Momenten.
Wünsche im Wind
Die große Weite hat Felix Gonzalez-Torres in ein kleines Heft verpackt (»Untitled«, Passport #II, 1993). Viele dieser Heftchen sind am Boden gestapelt, sichtbar wird ein schwarz-weißes Wolken-Bündel. Die Booklets haben Pass-Größe. Wer sich eins vom Stapel nimmt und aufklappt, sieht einen schwebenden Vogel. Der braucht keine Daten vorzulegen, um frei unterwegs zu sein. Keine Unterschrift, keine Stempel. Wir folgen ihm, wohin auch immer, und das tut gut.
Und schon kommt die Erinnerung an den Start der Ausstellung, der bereits vor dem Eingang zum Museum stattfand. Im Schlosspark Weitmar, in dem das Museum liegt, haben Heinzelmann und sein Team Yoko Onos »Wish Tree« eingerichtet. Besuchende dürfen ihre Wünsche auf kleine Zettel schreiben und an einen japanischen Blumen-Hartriegel hängen, der gleich neben dem Museum wächst. Yoko Ono orientiert sich damit an Ritualen aus japanischen Tempeln. Ihre Installationsserie startete 1996, ihre »Wish Trees« wurden schon in London, Stockholm, New York oder Buenos Aires errichtet. In Bochum sind allgemeine wie persönliche, witzige und nachdenklich stimmende Wünsche zu lesen, zum Beispiel »Frieden und Gesundheit für alle«, «einen Platz für eine ADHS-Diagnostik«, »schönes Wetter für die Hochzeit meiner Freundin«, »dass die Russen noch in diesem Jahr aus der Ukraine abziehen müssen« oder »Ken Lum, find me in Paris!». Immer wieder animiert die Ausstellung dazu, sich selbst Gedanken darüber zu machen, was Glück bedeuten kann. Die Auswahl der Künstler*innen und ihrer Werke setzt das Glück in Relation, weil sie Beziehungen aufbaut, zu Menschen und zu Verhältnissen. Sich in schwierigen Zeit mit dem Glück zu beschäftigen, mutet nicht weltfremd an, wenn man sich so konkret mit der Situation des Menschen auseinandersetzt wie auch Samuel Beckett in seinem Theaterstück.
»Glückliche Tage«
Bis 20. Oktober
Museum unter Tage, Bochum