Wer zum Steampunk gehört, gestaltet alles und am liebsten selbst: Kleidung, Gebrauchsgegenstände, Comics, Bühnenbilder und Kostüme, Spiele, Skulpturen, Fotos, Fahrzeuge und Musik. Steampunker lieben Kleidung im Stil des Viktorianischen Zeitalters oder der Deutschen Kaiserzeit. Und sie huldigen einer dampf- und zahnradgetriebenen Mechanik. Oder anders ausgedrückt: Sie zeigen Geschichte, wie sie nie war – aber gewesen sein könnte. Steampunker vermengen reales Wissen und Technik aus der Vergangenheit mit ihren eigenen Vorstellungen von Flugmaschinen, Computer- und Roboter-Fantasien, schwebenden Städten und utopischen Weltraumfahrzeugen. Dabei spielt die Literatur eine große Rolle: Hervorgegangen aus den Fantasien des Cyber-Punks der 1980er Jahre, der sich eine von Technik und Maschinen beherrschte Zukunft vorstellte, orientiert sich der Steampunk an den fortschrittsgläubigen Ideen früher Science-Fiction-Autoren wie Jules Verne und H. G. Wells. Mit Romanen wie »20.000 Meilen unter dem Meer« und »Die Zeitmaschine« hatten die beiden Schriftsteller eine neue Variante der Science-Fiction geschaffen, die technische Errungenschaften mit Fiktionen zu einer kuriosen Zukunftswelt fantasierten.
Zurück in die Zukunft
Für Steampunker heißt es also: Zurück in die Zukunft – auch für die Kulturwissenschaftlerin Clara Lina Wirz, die für »Clockworker«, das größte, deutschsprachige Steampunk-Onlinemagazin schreibt und das Buch »Das große Steampanoptikum« mitgeschrieben hat. Sie organisiert mit ihrem Freund Steampunk-Veranstaltungen wie das »Vaporium Ruhr« im Bochumer LWL-Industriemuseum Zeche Hannover. In einer Industriekulisse, die perfekt zur Bewegung passt. Schließlich steht »Steam« für das englische Wort »Dampf« – in Anlehnung an die im 19. Jahrhundert aufkommenden Dampfmaschinen, die als Relikte der industriellen Revolution Steampunker bis heute inspirieren.
Steampunker bauen sich ihre Geschichte ein Stück weit selbst: Auch wenn die Szene viele Anleihen des 19. Jahrhunderts in Kleidung und Design hat, so will sie nicht zeigen, wie die Welt war. Sondern wie sie hätte sein können. Was wäre also gewesen, wenn sich der Dampf als treibende Antriebskraft gegenüber der Elektrizität im Laufe der Industrialisierung durchgesetzt hätte? Als Ausdruck einer alternativen Geschichtsschreibung ist daher auch die Kleidung nicht historisch authentisch, sondern historisch inspiriert, dem Do-it-yourself-Gedanken folgend, meist selbst erdacht und selbst gemacht.
»Love the machine, hate the factory«
Das wiederum passt zum Punk, bei dem das Selbermachen eine wichtige Rolle spielt – und ein gewisses Werteverständnis: Lieber ein hochwertiges Einzelstück, als ein Teil, das nach kurzer Zeit nicht mehr brauchbar ist. Dabei ist man keinesfalls rückständig: Getreu dem Motto »Love the machine, hate the factory« machen sich Steampunker neueste Technik zu eigen, ohne den damit verbundenen Massenkonsum gut zu heißen. Allerdings: »Alles was zum Steampunk dazu gehört, hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Bewegung ist größer und bekannter geworden. Dazu gehört auch, dass es mittlerweile Dinge zu kaufen gibt, auf denen Steampunk draufsteht. Wir haben nicht mehr die gleiche Subkultur wie noch vor fünf oder vor zehn Jahren«, relativiert die Steampunk-Anhängerin Clara Lina Wirz.
Von Carl Valentin stammt der Spruch »Früher war die Zukunft besser« – ein Satz, der die Welt der Steampunker mit ihren Zahnrad-, Messingfernglas- und Brokat-Kleidern sehr gut beschreibt. »Früher dachte man, dass technische Neuerungen auf jeden Fall positiv belegt sind. Daran knüpft Steampunk an –an eine Utopie«, erklärt Wirtz.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Subkulturen, die sich in erster Linie über ihre Musik definieren, spielt diese im Steampunk eine eher untergeordnete Rolle. Von Klassik über Folk und Western bis hin zum Rock und Metal gibt es kaum ein Genre, in dem nicht wenigstens eine Steampunk-Band unterwegs wäre. Bekannte internationale Vertreter sind Abney Park, Vernian Process und Steampowered Giraffe. In Deutschland finden sich Bands wie Aeronautica, Tales of Nebelheym oder Drachenflug. Viele Popkulturen, wie etwa Heavy Metal, Hip Hop, Rockabilly oder Techno warten mit einer sehr klar definierten Musikwelt auf. Die des Steampunk ist offener: »Einen bestimmten Stil gibt es nicht, es gibt aber Bands, die Musik machen – die zum Steampunk passt«, sagt Wirtz. Entweder die Bandmitglieder sehen aus wie Steampunks. Oder sie machen Musik auf Instrumenten, die steampunkig aussehen oder die es im 19. Jahrhundert bereits gegeben hat.« So spielt etwa die Band Coppelius Heavy Metal auf Kontrabass, Cello und Klarinette. Oder die Bands besingen Themen, die in der Szene immer wieder auftauchen: Luftschiffe, verrückte Wissenschaftler, Abenteurer und Unterseeboote. Einem Jules Verne hätte der Steampunk sicher gefallen.