Ihre Augen sind geschlossen. Sanft streicht sie mit dem Gesicht am Display vorbei. Dazu hört man Valentina im O-Ton und erfährt von ihrer Liebe zum Laptop, den sie Valentino nennt. Bei der richtigen Beleuchtung sieht Valentina die abgerundeten Ecken seines Gehäuses glänzen, auch die silbernen Buchsen im schwarzen Kunststoff findet sie optisch sehr ansprechend. Valentinos Betriebssystem sei in der Beziehung völlig irrelevant, sagt sie. »Er hat für mich eine Seele.« Es ist ein wenig bekanntes Phänomen, dem Kathrin Ahäuser künstlerisch nachgeht. Seit 2012 sucht, film, fotografiert sie Objektsexuelle und bringt Menschen wie Valentina dazu, vor der Kamera offen über ihre Liebe zu Laptop und Baukran, Notenpult oder Passagierflugzeug zu sprechen.
Eine Überschwemmung bei McDonald’s
Auch Ahäusers multimediales Kunstprojekt hat einen Platz auf Schloss Morsbroich, wo die Gruppen-Ausstellung »Liebes Ding – Object Love« jetzt einen riesigen Bogen schlägt – von der sehr privaten Liebe zum leblosen Gegenstand über die Problematik zunehmend intelligenter Maschinen führt der gesellschaftskritisch engagierte Rundumschlag bis in die globale Umweltkatastrophe, veranschaulicht durch ein Video der dänischen Künstlergruppe Superflex. Ganz still und ohne jede Dramatik wird da die durch den Klimawandel begünstigte Überschwemmung einer fiktiven McDonald’s Filiale geschildert.
Solch apokalyptische Zukunftsaussichten haben natürlich wenig mit Menschen wie Valentina und ihrer mehr oder weniger monogamen Liebe zum Ding zu tun. Viel eher hängen sie zusammen mit jenen sinn- und zügellosen Gelüsten, die uns Angehörige der Industrienationen immer mehr Konsumgüter anhäufen lassen. Um die 10.000 Dinge besitzt der Europäer im Durchschnitt. Es ist eine Zahl, die wieder und wieder genannt wird im Ausstellungskatalog, der noch viel mehr fatale Tatsachen, statistische Ungeheuerlichkeiten und beunruhigende Prognosen rund um Klima und Konsum parat hat. Auch die historischen Wurzeln des Wahnsinns geraten ins Visier.
Mehr Dinge, als wir brauchen
Woher kommt die Flut? So fragt da der Historiker Frank Trentmann. Und erklärt, dass die Antwort mitnichten in der Zeit des wachsenden Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen sei. Streng genommen hätten die Menschen schon immer mehr Dinge besessen, als sie für das nackte Überleben brauchten – zur Bronzezeit etwa Silberarmreife und dekoratives Spielzeug. Die Entstehung kolonialer Weltreiche und den Prozess der Urbanisierung sieht Trentmann als wesentliche Faktoren, die der Konsumkultur nach 1500 zum großen Durchbruch verholfen hätten. Unsere eigene Welt der Dinge, bestückt mit digitalen Geräten und gepflegt von Werbefachleuten, ist demnach nur das neueste Kapitel einer uralten Geschichte.
Mode, Massenkonsum, Müll im Meer
Allein dieser aktuellste Teil der Story ist nun Thema der Schau im Museum Morsbroich und wird dort bespiegelt von gut 20 Künstlern. Eine von ihnen ist Yvonne Dröge, die 1992 bereits eine Frisierkommode der Marke Wendel aus dem Erbe der Eltern ehelichte und mit der Aktion einen Appell verband: Die Künstlerin – seither heißt sie Dröge Wendel – will uns aufrufen, über die eigene Beziehung zu Dingen nachzudenken. Und vielleicht auch über die Gründe für unsere innige Zuneigung. Woher kommt die Liebe? Eine recht persönliche Antwort gibt in der Ausstellung Vita Mitrichenko, die das erinnerungsträchtige Porzellanservice ihrer geliebten Großmutter künstlerisch verarbeitet und Dinge so als Träger von Gefühlen und Geschichten, die uns am Herzen liegen, vorführt.
Als Seismografen des Zeitgeists beschreibt die Ausstellung ihre Künstler. Auch wenn es natürlich keiner speziellen Messgeräte mehr bedürfte, jene drängenden Probleme zu erkennen, die uns so ängstlich umtreiben. Mode, Massenkonsum, Müll im Meer. Kapitalismus und Klimawandel. Werbung und die wachsende Macht des Digitalen… Die Schau lässt nichts aus, denn alles hängt schließlich irgendwie mit Dingen zusammen. Dabei scheint eines von vornherein klar: Ist sie maßlos, wird die Liebe leicht zur Belastung. So etwa für Zhao Xiangyuan: Die chinesische Hausfrau konnte einfach nichts wegwerfen, war am Ende allerdings sehr froh über die ungeheuerliche Krimskrams-Sammlung. Denn ihr Sohn, der Multimediakünstler Song Dong, hat aus dem vermeintlichen Abfall ein kritisches Kunstwerk gemacht.
Eingeklemmt zwischen Stühlen

Ein nicht so glückliches Ende nimmt die Liebesgeschichte bei Anne, Hanna und Janneke, die sich in Melanie Bonajos Fotofolge »Furniture Bondage« als bedauernswerte Opfer der mehr oder weniger nützlichen Gegenstände des täglichen Gebrauchs präsentieren. Nackt, verschnürt und eingeklemmt zwischen Stühlen oder unter einer Klappleiter fotografiert Bonajo die jungen Frauen. Gefangen zwischen Fahrrad, Ventilator und Bügelbrett zur Bewegungslosigkeit verdammt. Hinter Bonajos tragisch-komischen Inszenierungen steckt selbsterlebtes Leid: »Ständig war ich damit beschäftigt, meine Sachen umzuräumen«, klagt die Künstlerin. »Und ich hatte allmählich das Gefühl, dass die Dinge mich beherrschten und nicht andersherum«.
Eine Gefahr, die wächst. Zumal die lieben Dinge immer schlauer werden und ihre Schöpfer bald zu überflügeln drohen. Um genau dieses Thema kreist Olaf Moojos »Braincar« – ein ganz normaler Personenwagen, allerdings bekrönt von einem riesigen Gehirn, das aus dem Dach hervorzuquellen scheint. Tags sammelt das Auto bei seinen Fahrten durch die Stadt Bilder, die bei Nacht in seine transluzente Gehirnhaut projiziert werden.
Auf welche Weise wir schon heute mit Hilfe beängstigend intelligenter Technik manipuliert werden, weiß auch Danielle Dean. Denn sie selbst kommt aus der Werbebranche und führt mit ihrem Video »She« in die unheimlich übergriffige Welt des Online-Marketing. Dean kommt aus den USA und gehört damit zur internationalen Hälfte der Belegschaft auf Schloss Morsbroich. In etwa die andere Hälfte der Künstler stammt aus oder lebt zumindest in den Niederlanden.
Was sicher daran liegt, dass auch die Gastkuratorin, Anna Berk, hier beheimatet ist. Sie wohnt im Einzugsgebiet von Amsterdam, das durch Millionen von Autos und intensivem Flug- wie Schiffsverkehr von starker Luftverschmutzung betroffen sei, wie sie ausführt. Berk selbst leidet unter einer Atemwegserkrankung, ein persönlicher Grund für ihr kuratorisches Engagement. Aufrütteln möchte sie, etwas ändern – das merkt man der Ausstellung und den Katalogtexten an.
Berk ist nicht allein. Unter den Künstlern in Leverkusen findet sie tatkräftige Mitstreiter. Allen voran Maarten Vanden Eynde, der vor zehn Jahren erstmals und seither immer wieder aufbrach, um die riesigen Müllstrudel in den Weltmeeren zu erkunden und Plastikabfall einzusammeln. Mehr als eine Tonne ist zusammengekommen: Kisten, Netze und Tüten, Feuerzeuge, Zahnbürsten, Drehverschlüsse… Daheim im Atelier hat Van den Eyden alles zum bunt zerklüfteten Klumpen verschmolzen. »Plastic Reef« heißt das Ergebnis – und es ist wohl kaum ein Ding zum Verlieben.
Museum Morsbroich, Leverkusen, bis 1. Juni 2020, www.museum-morsbroich.de