Ruhrtriennale: Mit »Oracle« begibt sich der Theatermacher und Videokünstler Łukasz Twarkowski auf die Suche nach den Wurzeln der modernen KI-Technologie.
Unsere heutige Welt wurde spätestens in den 1930er und 40er Jahren geformt. Es waren die mit dem Krieg einhergehenden wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, die seither (geo-)politische ebenso wie gesellschaftliche Entwicklungen geprägt und durchdrungen haben. Robert J. Oppenheimer hat mit dem Bau der Atombombe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Stempel aufgedrückt.
Nicht ganz so bekannt, aber letztlich noch viel einflussreicher war Alan Turings Arbeit im Rahmen der britischen Bemühungen, die Enigma-Verschlüsselungen der deutschen Funksprüche zu dechiffrieren. Sie hat den Boden für das Leben im 21. Jahrhundert bereitet. Man könnte sogar sagen, wir leben heute in Alan Turings Welt oder zumindest in einer Welt, in der uns seine Ideen und seine Sehnsüchte auf Schritt und Tritt begleiten. Eine Welt, die der 1983 in Polen geborene Theatermacher und Videokünstler Łukasz Twarkowski in »Oracle« gemeinsam mit der Autorin Anka Herbut und seinem Ensemble erkundet.
Allein Alan Turings Leben, seine so faszinierende wie tragische Biographie, liefert genügend Material für mehrere Theaterstücke. Schließlich hat er mit der Entschlüsselung des Enigma-Codes dazu beigetragen, die Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu beschleunigen. Außerdem war es diese Dekodierungsarbeit, die, wie Łukasz Twarkowski es beschreibt, »den Grundstein für die moderne Computertechnik und die digitale Welt, in der wir heute leben, gelegt hat«. Aber das ist nur die eine Seite seines Lebens. Die andere führt direkt in die Abgründe demokratischer Gesellschaften. Als Homosexueller wurde er in England verfolgt, verurteilt und so in den Selbstmord getrieben.
Komplexität der Welt
Für Łukasz Twarkowski verkörpert Alan Turing entsprechend »einen der fesselndsten Widersprüche des 20. Jahrhunderts«. Dennoch ist »Oracle«, wie er weiter ausführt, »kein Stück über Alan Turings Biografie«. Die Inszenierung kreist vielmehr um Turings Sehnsucht, »eine Maschine zu bauen, die mit einem Menschen verwechselt werden kann«, und damit auch um Turings »Widerstand gegen die Unausweichlichkeit von Verfall und Tod«. Neben seinen für die moderne Computertechnik so zentralen Forschungen und Entwicklungen sind es eben diese Ideen Turings, die bis heute nachwirken.
Twarkowski und Anka Herbut arbeiten diese engen Verknüpfungen von Vergangenheit und Gegenwart in »Oracle« mittels zweier Zeitlinien heraus. Die eine erzählt von Turings Arbeit in den Jahren des Zweiten Weltkriegs in der britischen Einrichtung Bletchley Park, wo er die Dechiffrierung der deutschen Codes entscheidend vorangetrieben hat. Im Zentrum der anderen steht der KI-Sicherheitsgipfel, der 2023 am selben Ort stattgefunden hat.
Die Produktion beschäftigt sich aber nicht nur auf der inhaltlichen Ebene mit den technologischen Entwicklungen, die Turing vor über 80 Jahren angestoßen hat. Schon in früheren Arbeiten, etwa der immersiven Performance »Respublika«, die 2022 im Rahmen der Ruhrtriennale zu sehen war, oder »WoW – Word on Wirecard«, einer sehr freien, an den Münchner Kammerspielen herausgekommenen Adaption von Rainer Werner Fassbinders »Welt am Draht«, hat Łukasz Twarkowski gezielt mit modernsten Film- und Soundtechniken gearbeitet, um alltägliche Erfahrungen des Publikums auf der Bühne zu spiegeln und ästhetisch zu durchdringen. Auch in »Oracle« kommt modernste Technologie zum Einsatz. Er ist fest davon überzeugt, dass »sich das Theater in formaler und ästhetischer Hinsicht weiterentwickeln und sich so den Veränderungen durch technische Entwicklungen stellen muss«. Nur so kann es dem Publikum ermöglichen, »die Komplexität der Welt zu verstehen, innezuhalten und sich mit der eigenen menschlichen Komplexität zu konfrontieren«.
»ORACLE«
ŁUKASZ TWARKOWSKI, ANKA HERBUT, DAILIES THEATRE LATVIA
URAUFFÜHRUNG: 28. AUGUST,
VORSTELLUNGEN: 29., 30., 31. AUGUST UND 2. SEPTEMBER
KRAFTZENTRALE, LANDSCHAFTSPARK DUISBURG-NORD