Die Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher Rüping hat der Schauspielerin Anna Drexler die höchsten Theater-Weihen eingebracht. Wer sie noch einmal am Schauspielhaus Bochum erleben will, muss sich beeilen.
Die Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher am Schauspielhaus Bochum hat der Schauspielerin Anna Drexler viel Glück gebracht: Mit der Inszenierung »Das neue Leben« wurden sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Für ihre Darstellung der Krähe in »Trauer ist das Ding mit Federn« gewann sie vergangenes Jahr dann sogar den Theaterpreis »Der Faust«. Das ist die höchste Weihe im deutschen Theaterbetrieb. Wie kann es da weitergehen, wenn man erst 34 Jahre alt ist?
In der ersten Vorstellung, die Anna Drexler spielte, nachdem sie den »Faust« verliehen bekam, war sie sehr nervös: »Ich dachte: Jetzt muss ich ihn mir im Nachhinein verdienen.« Wenn man sie heute auf der Bühne des Schauspielhauses Bochum sieht, ist von dieser Nervosität offenbar nichts übrig: Sie spielt grandios lässig, als eine Klasse für sich.
Energie und Lässigkeit
Die Krähe, die Drexler in Christopher Rüpings Adaption von Max Porters Roman »Trauer ist das Ding mit Federn« spielt, ist in vielerlei Hinsicht eine schillernde Figur – nicht nur, weil sie ständig ihr schwarzes Kostüm beziehungsweise Federkleid wechselt. Sie ist eine Art Trauerhelferin für die Familie, die ihre Mutter verloren hat, vor allem für den Vater, dem seine Frau fehlt und der mit seiner Rolle als Alleinerziehender und Witwer hadert. Die Krähe ist aber nicht immer vorsichtig, liebe- und verständnisvoll. Sie kann auch ganz schönes Chaos anrichten, die Familie mit Tricks auf andere Gedanken bringen – und sie kann ganz real kämpfen gegen die Dämonen der Erinnerung, sogar mit einer Tortenschlacht auf dem Theaterdach.
Schon in »Das neue Leben«, einer Stückentwicklung um eine große, geradezu fantastische, weil nie auf ihre reale Möglichkeit abgetastete Liebe des jungen Dante, ragte Anna Drexler aus dem großartigen Ensemble des Schauspielhauses Bochum noch ein Stück heraus. Sie spielt mit einer schier unglaublichen Energie, aber auch einer unwahrscheinlichen Lässigkeit, die sie manchmal aus ihrer Rolle heraus und in den Menschen dahinter fallen lässt. Diesen Shift mag sie sehr, aber sie sagt auch: »Ich fühle mich nie privat auf der Bühne, aber es gibt im besten Fall immer Momente der Freiheit.«
Dass sie aus einem Ensemble herausragt, würde Anna Drexler wahrscheinlich nie unterschreiben. Sie sieht sich als Teamplayerin (und ist es ja auch). Wenn sie sich für eine Inszenierung verpflichtet, dann ist das Wichtigste für sie die Konstellation, in der gearbeitet wird. »Eine Inszenierung ist immer eine Gruppenarbeit und am Ende weiß man oft nicht mehr, von wem welche Idee kam.« Bei der Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher Rüping fühlt sie sich besonders wohl: »Für mich ist das etwas Chemisches. Mich interessiert das tierisch, was er für Fragen stellt, was er sehr präzise beobachtet. Und er sagt auch klar, wenn er zum Beispiel etwas als Sackgasse empfindet.« Sie geht sogar so weit, dass sie sagt: »Mit ihm wäre mir auch komplett egal, welchen Text wir inszenieren, mit ihm würde ich auch… sagen wir mal ‚Die Physiker‘ von Dürrenmatt machen.«

Generell ist ihr allerdings nicht wirklich egal, in welchen Stücken sie spielt. Als besonders schwierig empfindet sie es von einem feministischen Standpunkt aus, wie viele weibliche Rollen in klassischen Stücken gestrickt sind: Das sind oft eher passive, dienende Figuren, die reagieren und nicht agieren. »Ich will nicht, dass eine junge Frau heute ins Theater geht und sieht: Da dient eine Frau ihrem Mann. Das geht vielleicht in 30 Jahren wieder«, sagt Anna Drexler. »Ich möchte keinen Zentimeter von meinen feministischen Überzeugungen abrücken. Deshalb gibt es oft große Räume von Nein in mir und ich muss die Rollen dann in andere Richtungen bewegen.« Wegen der Anstrengung, die das erfordert, liebt sie Rollen wie die Krähe oder die Dante-Variationen in »Das neue Leben« – weil sie flexibel sind und potentiell Identifikationsangebote für ganz unterschiedliche Menschen machen.
Man könnte meinen, dass Anna Drexler das Talent zum Schauspiel in die Wiege gelegt wurden: Ihr Vater ist der Burgtheater-Schauspieler Roland Koch. Ihre Mutter arbeitete auch als Schauspielerin, stellte ihre Karriere aber schon früh für die Familie hinten an. Anna Drexler glaubt allerdings nicht an eine irgendwie geartete Vorbestimmung: »Wir sind drei Schwestern und nur ich bin Schauspielerin geworden.« Also vielleicht doch nicht in die Wiege gelegt, sondern irgendwann den Weg gefunden. Auf der Waldorfschule, in die sie ging, wurde musisches Talent genau wie handwerkliche Betätigungen gefördert, und als Schülerin dachte sie zuerst, sie möchte vielleicht auch beruflich etwas Handwerkliches machen und bewarb sich für ein Konditorei-Praktikum.
Von der Konditorei zur Bühne
Schon zu Schulzeiten spielte sie allerdings auch in Theaterstücken und erkannte irgendwann: »Diese Art, auf die Welt zu schauen, sich redend, mit dem Dingen auseinanderzusetzen, mit dem Feinstofflichen – das gefiel mir.« Also bewarb sie sich nach der Schule an Schauspielschulen und studierte schließlich an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Da hatte sie großes Glück: Noch vor dem Abschluss sprang sie in den Münchener Kammerspielen bei »Onkel Wanja« ein – und wurde prompt von der Fachzeitschrift Theater heute zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt. Intendant war dort Johan Simons. Mit ihm zusammen ging sie schließlich von München nach Bochum und landete so ab 2018 zum ersten Mal im Ruhrgebiet.
Die Liebe zu Bochum ist immer noch da, das merkt sie, wenn sie für »Das neue Leben« und »Trauer ist das Ding mit Federn« nach Bochum zurückkehrt. Trotzdem hat sie sich im vergangenen Jahr entschlossen, mit ihrem Partner Steven Scharf, der ebenfalls in Bochum spielte und den sie bei Proben kennen lernte, nach München zurückzugehen. Ihr erstes Kind wurde schulpflichtig und da stand die Entscheidung für eine Stadt an, an die man sich längerfristiger binden möchte. In München spielt sie allerdings nicht wieder an den Kammerspielen, sondern im Ensemble des Residenztheaters. »Das ist durchaus aufreibend, dass ich das Arbeitsumfeld dort noch nicht so gut kenne. Aber ich kann das genießen«, sagt Anna Drexler. »Dieses Lebensgefühl, dass ich nicht weiß, was in drei Jahren passiert, das gefällt mir sehr.«
Was ihr an ihrem Job auch gefällt: Sich auf ihr eigenes Gefühl, ihre eigene Beobachtung zu verlassen. »Ich ordne mich nicht gern unter«, sagt sie, »und ich bin fast schon resistent gegen Meinungen von außen. Wenn mich jemand lobt, aber ich war mit meiner Leistung nicht zufrieden, dann nehme ich mir das Lob nicht an.« Deshalb war auch der wichtigste Theaterpreis des Landes schnell nur noch »der Pokal«, wie ihr Sohn die Trophäe nennt. Wichtig ist auf der Bühne, jeden Abend wieder neu.
»Trauer ist das Ding mit Federn« ist am Schauspielhaus Bochum wieder am 20. März zu sehen.
Für »Das neue Leben« gibt es derzeit keine bestätigten Termine, es soll aber nochmal gespielt werden.