Eines der Bücher von Sandra Da Vina heißt »Hundert Meter Luftpolsterfolie«. Es ist eine Textsammlung über die kindliche Freude am Kaputtmachen geworden. Aber auch über die Angst, dass eines Tages die Luft raus sein könnte – aus der Beziehung, aus der Freundschaft, aus dem Leben. Wenn die 31-jährige Essenerin auf der Bühne steht und selbstironisch von sich und dem Leben erzählt, knallt und knistert es im Publikum allerdings oft – vor Vergnügen. Und dennoch ist der Humor einer der interessantesten Poetry Slamerinnen Deutschlands nie nur auf Knalleffekte, auf lärmenden Klaumauk, ausgelegt: Poetry Slam ist eine Kunstform der Zwischentöne. Die gerade aber nur schwer eine Bühne findet – im wahrsten Sinne des Wortes.
kultur.west: Frau Da Vina, Helge Schneider hat kürzlich in einem Interview mit der taz gesagt, dass es für ihn gar keinen Sinn machen würde, in Streams aufzutreten. Er könne nur improvisieren in seinen Shows – ohne Publikum ginge das nicht. Wie funktioniert das Lustigsein im Internet?
DA VINA: Was ich in diesem Jahr vor allem gelernt habe, ist in die Stille zu sprechen. Vor der Kamera ist man erstmal sehr einsam. Das Publikum fehlt. Aber die Frage, ob man streamt oder nicht, ist ja auch eine finanzielle. Wir wollen nicht nur weitermachen für die eigene Moral, sondern auch für die eigene Existenz. So gesehen bin ich dem Streaming für vieles dankbar. Gerade im ersten Lockdown hat mir das viel Halt gegeben. Weil man wieder auf die Bühne konnte. Weil man ein Mikrofon in der Hand hatte. Weil wieder so ein Gefühl von Arbeit da war. Ich fand den Gedanken tröstlich, dass man so zumindest virtuell vereint sein kann, obwohl alle zuhause sitzen. Und wir auf diesem Wege das tun können, was wir ja im normalen Leben auch tun – dunkle Gedanken vertreiben. Dann eben im Internet.
In den vergangenen Monaten hat Sandra Da Vina viele neue digitale Projekte verwirklicht, Teile ihrer aktuellen Show »Da Vina takes it all« auf youtube präsentiert oder im Stream der Zeche Carl aus einem ihrer Bücher gelesen. Seit Herbst bespricht sie unter @lesezirkel_literaturgebiet auf Instagram einmal im Monat Bücher.
kultur.west: Lähmt die Stille eher oder spornt sie an?
DA VINA: Sie lähmt eher. Ich ziehe meine Kreativität nicht nur aus Nachrichten oder dem Internet. Ich muss rausgehen und etwas erleben – das geht gerade eben schlecht. Ich fühle mich wie ein trockener Schwamm. Dabei ist Humor ja eigentlich ein gutes Mittel, um die Wirklichkeit erträglich zu machen. Aber gerade kostet es auch Kraft.
Sandra Da Vina ist seit 2012 regelmäßig auf den Poetry-Slam- und Kabarett-Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Gast. Während des Germanistik-Studiums an der Universität Duisburg-Essen hatte sie eine Hausarbeit über Frank Goosen geschrieben – wenige Jahre später stand sie mit ihm gemeinsam auf der Bühne. Inzwischen arbeiten beide für dieselbe Agentur. Was sie verbindet? Die Liebe zum Live-Auftritt. Und zur Literatur.
kultur.west: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Stand-up-Comedy und Poetry Slam?
DA VINA: Poetry Slam ist ein literarisches Format, für das nicht nur Prosa auf der Bühne vorgetragen wird, sondern auch Lyrik. Beim Stand-up gibt es keine Publikumsbewertung wie beim Poetry Slam – außer dass es am besten zwischendrin auch mal lachen sollte, sonst wird’s ein bisschen unangenehm. Und Stand-up ist immer auf Pointe geschrieben – auch das ist beim Poetry Slam nicht so.
Wie gut Sandra Da Vina auch die ernsten, die stillen Momente beherrscht, zeigt ein kleiner »Poetry-Clip« auf youtube, den der Lektora-Verlag produziert hat. In »Ohne mich« nimmt sie die Zuschauer*innen mit in die Einsamkeit ihrer Wohnung – und auf eine Selbstbefragung voller Nachdenklichkeit und Melancholie.
kultur.west: Zuletzt haben Sie viel in Richtung Stand-up-Comedy gemacht, sind zum Beispiel bei »Night Wash« oder TV-Formaten wie »Ladies Night« aufgetreten. Zwingen die Streaming-Formate nun nicht vielleicht auch dazu, wieder purer zu werden – zurück zur Kraft des Wortes?
DA VINA: Ja, schon. In gewisser Weise bin ich dadurch zu den geschriebenen Texten zurückgekehrt. Im Stream funktioniert Stand-up für mich nicht. Jeder Witz verhallt. Literarische Texte aber funktionieren auch in der Stille.
Kommende Termine:
Jeden dritten Sonntag im Monat ist Sandra Da Vina bei der »Poesieschlacht« im Düsseldorfer ZAKK dabei. Vorübergehend wird der dortige Poetry Slam über Zoom übertragen: www.zakk.de/programm
Am 10. Mai ist sie beim»Wortpalast« im Rahmen der Ruhrfestspiele Recklinghausen zu Gast.
Die Initiative »Handforahand« unterstützt Freiberufler, die gerade durch den Lockdown im Kulturbetrieb hart getroffen sind – etwa Bühnen- und Tontechniker*innen, Beleuchter*innen oder Veranstaltungshelfer*innen. Organisiert wird der Solidaritätsfonds vom Verein Junge Literaturvermittlung in Köln: www.handforahand.de
Sandra Da Vinas Bücher »Sag es in Leuchtbuchstaben«, »Hundert Meter Luftpolsterfolie« und »Vom Kuchen und Finden« sind im Lektora Verlag erschienen. 2015 brachte der Oetinger Verlag außerdem ihr Jugendbuch »Verlieb dich!« heraus. Neben ihrer Arbeit als Poetry Slammerin und Buchautorin moderiert sie auch und gibt Workshops, etwa zum Kreativen Schreiben.