Auf den Bühnen in NRW stehen einige Veränderungen an. Wer kommt und wer geht? Ein Überblick von Stefan Keim, Max Florian Kühlem und Bettina Trouwborst.
Im Hier und Jetzt
Kay Voges macht in Köln weiter, wo er in Dortmund aufgehört hat.
Von 2010 bis 2020 war Kay Voges Intendant des Schauspiels Dortmund und Publikum und Kritik waren sich bald einig: Das war das beste, spannendste Stadttheater in NRW. An diese Erfolge will er als neuer Intendant des Schauspiels Köln offenbar anknüpfen: Alexander Kerlin ist wieder als Chefdramaturg dabei, im Ensemble spielt mit Andreas Beck ein Zugpferd aus Dortmunder Zeiten, im erstmal auf fünf Jahre angelegten Schwerpunkt »Theater und Journalismus« bringt man wie damals mit Correctiv aufwändige Recherchen auf die Bühne. »Es wäre kühn gesagt, es ‚Borderline 2‘ zu nennen«, sagt Voges über seine Eröffnungsinszenierung »Imagine«. Damit stellt er den Zusammenhang zur »Borderline Prozession« her, seinem erfolgreichsten Dortmunder Stück. »Imagine« soll ein groß angelegtes, theatrales Wimmelbild sein, inspiriert von John Lennons Song und Peter Handkes »Die Stunde da wir nichts voneinander wussten«, dass die Welt als Dorf darstellt, in dem vieles vorstellbar ist – zum Beispiel, dass alle Menschen nur im Hier und Jetzt leben (»living for today«). Der Kölner Spielplan des geborenen Düsseldorfers ist sehr welthaltig und divers – auch wenn sein neues Ensemble auf den ersten Blick längst nicht so divers wirkt wie mittlerweile an großen Stadttheatern üblich. Mit Hanna Koller hat er eine eigene Kuratorin für regelmäßige Tanz-Gastspiele engagiert und unter den 29 Premieren, zu denen auch Wiederaufnahmen und Köln-Premieren wie Voges‘ »Faust« aus Wien zählen, findet sich viel politisches Theater – etwas das Recherchestück »Dat Wasser vun Kölle es jot« des Hausautors Calle Four. MFK

Für die Stars von morgen
In Dortmund übernimmt ein Führungstrio das Ballett.
Am Theater Dortmund geht eine Ära zu Ende: Ballettintendant Xin Peng Wang verabschiedet sich nach 22 Jahren. Damit geht der dienstälteste Ballettdirektor Deutschlands – nachdem John Neumeier sich 2024 nach 51 Jahren zurückgezogen hat – in den Ruhestand. Wang hatte das Dortmunder Repertoire mit seinen opulenten Handlungsballetten und den hochkarätigen internationalen Galaabenden geprägt. Wohl erstmalig dürfte in Deutschland sein, dass nun ein Führungstrio übernimmt: Der Ballettmanager Jaŝ Otrin wird Intendant des Ballett Dortmund und des NRW Juniorballetts. Er gestaltet die Sparte gemeinsam mit der Choreografin Annabelle López Ochoa und dem Tanzschöpfer Edward Clug als Artists in Residence. Die Belgierin und der Rumäne kreieren jährlich eine Choreografie für das Ballett Dortmund und das NRW Juniorballett. Dabei wechseln sie sich jeweils ab mit der Haupt- und Nachwuchskompanie. Außerdem steuern Gastchoreograf*innen eine Premiere pro Spielzeit bei. Gemeinsam wollen Otrin, Ochoa und Clug die Stars von morgen entwickeln: In drei Kompetenzzentren sollen junge Tänzer*innen, Choreograf*innen und Tanzpädagog*innen entwickelt werden. Ochoa, Clug und die Ballettmeister*innen werden die Talente in diesen Zentren als Mentoren fördern. TROUW

Das Ensemble wird größer
Frank Hilbrich übernimmt in Gelsenkirchen ein großartig funktionierendes Musiktheater.
Oper in einer Stadt mit vielen sozialen Herausforderungen – diese große Aufgabe hat Michael Schulz am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen hervorragend gelöst. Er hat das Haus geöffnet, Punkopern und hervorragende Musicals gespielt, einige der wichtigsten zeitgenössischen Oper gezeigt, das Repertoire gepflegt, ein Puppentheater installiert und mit Landesmitteln das mir.LAB gegründet, das Basisarbeit in der Stadt unternimmt. Nun wechselt Schulz ans Staatstheater Saarbrücken, die kommende Saison hat er noch geplant. Sein Nachfolger kommt erst 2026, hat aber gerade schon in Gelsenkirchen inszeniert, den »Falstaff« von Giuseppe Verdi. Das ist ein Zufall, aber natürlich ein sehr positiver. »Ich habe durch diese Regiearbeit noch mehr Lust auf das Haus bekommen«, sagt Frank Hilbrich, derzeit noch leitender Regisseur am Bremer Musiktheater. Er sieht die Leistungskraft des Ensembles und will sogar mehr Sänger*innen fest engagieren. »Hier gibt es nicht nur tolle Stimmen und spielfreudige Menschen«, sagt Hilbrich, »sondern auch ein großes Engagement über die künstlerische Arbeit hinaus.« Das mir.LAB will er erhalten. »Feiern, Tanzen, Mitmachen, sich selbst und andere erleben«, das sei zentral für die Theaterarbeit. Tanzchef Giuseppe Spota hat gerade seinen Rückzug aus Gelsenkirchen bekannt gegeben hat, auch im Ballett steht eine Veränderung an. Da will Frank Hilbrich nicht alles durcheinanderwerfen und auf dem guten Zustand des Musiktheaters aufbauen. SK

Teamfähigkeit und Vertrauen
Nadja Loschky hat zwei Jahre mit Michael Heicks im Team das Theater geleitet, nun übernimmt sie allein.
Warum muss eigentlich ein Intendanzwechsel immer ein starker Schnitt sein? Klar, neue Leute wollen sich positionieren. Aber schon die entspannten Übergänge, die Hagen und Gelsenkirchen ankündigen zeigen: So geht es auch, mit Respekt vor der Tradition des Hauses und der Arbeit der Vorgänger. Bielefeld geht einen Schritt weiter. Hier haben Michael Heicks und Nadja Loschky zwei Jahre lang das Theater gemeinsam geleitet. Anfang Juli wird Heicks verabschiedet, es wird tränenreich. Denn wenn man mit Mitarbeitenden in Bielefeld spricht, spürt man nicht nur Respekt und Anerkennung für den Intendanten. Sondern tiefe Zuneigung. »Ich werde ihn vermissen«, sagt Nadja Loschky, die nun allein übernimmt, »es war eine tolle Zusammenarbeit. Teamfähigkeit und Vertrauen bestimmen den Geist des Hauses.« Das will sie natürlich nicht ändern. In den vergangenen Spielzeiten hat sie im Schauspiel inszeniert, wo sie bisher als international begehrte Opernregisseurin nicht so viel Erfahrung hat. Loschky steht für »Kontinuität und Innovation. Ich will in einem gut funktionierenden System kleine Akzente setzen und noch mehr Education und Stadtprojekte anbieten.« Es gibt kein neues Logo, das kostet bloß Geld, das sich woanders besser einsetzen lässt. »Kontinuität bedeutet viel Arbeit, die nicht nach außen sichtbar ist«, sagt Loschky. »Aber sie ist die Grundlage für ein konstant hohes Niveau.« SK

Radikale Zeitgenossenschaft
Jakob Arnold und Daniel Kunze beginnen ihre Intendanz am Schlosstheater Moers.
Das Schlosstheater Moers hat eine irre Erfolgsgeschichte geschrieben. Intendant Ulrich Greb hat in 22 Jahren ein sozial engagiertes und künstlerisch explosives Theater geschaffen – und das mit verschwindend geringen Mitteln. Nun übernimmt ein Team aus zwei Regisseuren, Jakob Arnold und Daniel Kunze. »Wir kommen auf ein bestelltes Feld mit vielen Kooperationen und Kontakten,« sagt Kunze. »Das ist ein sehr progressives und mutiges Theater. Es ist ein Vergnügen, auf diesem Boden weiterzumachen.« Das Junge Schlosstheater bleibt wie es ist, um den Moerser Dauerbrenner Matthias Heße wird sich ein neues Ensemble formieren. Schon bisher gab es Projekte in Eigenverantwortung der Schauspieler*innen, das wird unter der Rubrik »Ensemble total« intensiviert. Ansonsten hat das neue Team »Radikale Zeitgenossenschaft« als Motto ausgerufen. Die Stücke beschäftigen sich mit Einsamkeit und der Pflege kranker Angehöriger. Doch zu Beginn gibt es eine sehr alte Komödie, »Der Frieden« von Aristophanes. Allerdings in seiner Übersetzung aus den 60er Jahren, die noch einmal überarbeitet und geschärft werden soll. Im Schauspiel Essen hat sich gerade eine Teamintendanz heillos zerstritten. Das können sich Arnold und Kunze nicht vorstellen, sie sind schon lange befreundet. »Aber man muss realistisch im Blick haben, dass so etwas passieren könnte«, sagt Arnold. »Wir haben da schon einen Plan aus Coaching und Kommunikation entwickelt, wenn so etwas passieren sollte.« SK

Tradition der Neugierde
Ewa Bogusz-Moore übernimmt die Kölner Philharmonie.
20 Jahre lang hat Louwrens Langevoort die Kölner Philharmonie geleitet. Das war eine prägende Zeit mit Unmengen von Stars und vielen spannenden Projekten. Nun übernimmt die polnische Musikmanagerin Ewa Bogus-Moore, selbst Cellistin und international erfahren. »Ich spüre den Druck«, sagt sie, »aber es ist auch aufregend.« Schließlich ist die Kölner Philharmonie einer der bedeutendsten deutschen Konzertsäle. Die Stadt hat ihr gleich zu Beginn einen ordentlichen Stein in den Weg gelegt. Das Acht-Brücken-Festival wird nicht mehr gefördert, damit ist eine der wichtigsten Plattformen für die zeitgenössische Musik weg. Aber Bogus-Moore lässt sich davon nicht beeindrucken. »Finanzielle Probleme hat es immer gegeben«, sagt sie. »Das hält mich nicht davon ab, in die Zukunft zu schauen.« Sie will ein neues Publikum ansprechen, nicht nur in der jüngeren Generation. »Alles ändert sich«, weiß die neue Intendantin und will andere Kommunikationsformen ausprobieren. »Es gibt in Köln eine Tradition der Neugierde«, sagt sie und will natürlich weiter große Stars holen und die etablierten Formate fortsetzen. »Eine Balance zwischen Risiko und vollem Saal« – so will sie die Zukunft der Kölner Philharmonie gestalten. SK

Auf jeden Fall Oper
Søren Schuhmacher leitet künftig das Theater Hagen.
»American Mother« – mit einer überwältigenden Uraufführung haben sich gerade Intendant Francis Hüsers und Generalmusikdirektor Joe Trafton vom Theater Hagen verabschiedet. Der Erfolg überdeckt allerdings ein strukturelles Problem. Immer weniger Menschen in der Stadt interessieren sich für die Oper, Rockshows und Musicals binden viele Leute ans Haus. Das weiß auch der neue Chef Søren Schuhmacher, der dennoch sagt: »Ich setze weiter auf die Oper.« Neben bekannten Stücken wie »La Traviata«, »West Side Story« und »Salome« gibt es weiterhin Neues und Entdeckungen. Gleich zu Beginn wird »Der goldene Drache« von Peter Eötvös gespielt. Allerdings sitzt das Publikum bei diesem schräghumorigen und philosophischen Stück mit auf der Bühne. »closeUP!« heißt das neue Format. »Nicht jedes Stück muss zwingend 770 Zuschauer anziehen«, sagt Schuhmacher. Es gibt keine eigene Schauspielproduktion mehr, überhaupt weniger Gastkünstler, dafür will er das Ensemble ausbauen. Und das erfolgreiche Jugendtheater weiterführen. Einen neuen Generalmusikdirektor hat Hagen auch. Da gab es allerdings Chaos und eine Absage, so dass Sebastian Lang-Lessing ziemlich spontan übernehmen muss. Das Programm stand schon vorher fest. »Das sind aber auch alles meine Lieblingsstücke«, sagt der fröhlich und flexibel wirkende Dirigent. SK

Öffnung zur Freien Szene
Sabine Reich übernimmt das Bochumer Prinz Regent Theater.
Die Spielplanvorstellung von Sabine Reich sendete vor allem ein Signal: Das Bochumer Prinz Regent Theater ist jetzt wieder ein Haus der Freien Szene. Zuvor hatte die neue künstlerische Leiterin zwar vor allem an Stadttheatern gewirkt: Unter Anselm Weber war sie Chefdramaturgin am Schauspiel Essen und Schauspielhaus Bochum. Danach gestaltete sie als stellvertretende Intendantin den Start von Julia Wissert am Schauspiel Dortmund mit. Gearbeitet hat sie an ihren Wirkungsstätten allerdings oft wie in der Freien Szene üblich: 2009 sorgte sie zusammen mit den visionären Künstler-Architekten Raumlabor Berlin für die temporäre Transformation der U-Bahnstation Eichbaum in ein Opernhaus: die Eichbaumoper. Als General Motors für Ende 2014 das Aus des Opel-Werks in Bochum verkündete, erfand sie mit ihrem damaligen Kollegen Olaf Kröck das »Detroit Projekt« – um mit künstlerischen Aktionen und Netzwerkarbeit Wandel vorauszudenken. Das Prinz Regent Theater will sie nun zu einem offenen, auch »glücklichen Ort« machen. Dazu gehören Umbaumaßnahmen an Theater und Vorplatz zu einem so genannten Dritten Ort. Die Künstlerin Miriam Michel baut eine Bochumer Bürger*innen-Bühne auf. Ein Bürger*innen-Beirat soll mit über das Programm bestimmen. Das Duo Diagonal gestaltet vom 18. bis 21. September als Eröffnungsfest einen Marktplatz für utopisches Theater, in dem Neuer Zirkus und Varieté eine Rolle spielen. Die erste Aufführung ist ein Erfolg der Wiener Festwochen und heißt »Fotzenschleimpower gegen Raubtierkaputtalismus«. Später schaut Anne Tismer vorbei – mit der Lecture Performance »Kompost Faust«. MFK