… ist, dass viele der politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen, die gerade getroffen werden, mir nicht durchsichtig sind. Auch die Entscheidung, nicht konkret zu sagen, wie es mit bestimmten Kunst- und Theaterförderungen weitergehen soll. Das von Mirjam Schmuck und mir gemeinsam geleitete kainkollektiv ist eine der freien Theatergruppen, die zunächst die NRW-Spitzenförderung Theater erhalten haben und nun die Exzellenzförderung bekommen. Beide Förderungen sind jeweils auf drei Jahre ausgelegt. Hat eine Gruppe drei Zyklen der Spitzenförderung durchlaufen, kann sie wie in unserem Fall in die Exzellenzförderung aufsteigen.
Im Rahmen der NRW-Spitzenförderung erhält eine Gruppe 80.000 Euro im Jahr, in der Exzellenzförderung 100.000 Euro. Der gegenwärtige Zyklus endet im Juni dieses Jahres. Bisher war es so, dass die Anträge für den Folge-Zyklus bis Ende Januar eingereicht werden mussten. Im März, April hat eine unabhängige Jury alle eingegangenen Anträge im Rahmen einer Sitzung diskutiert und entschieden, welche Gruppen die NRW-Spitzen- bzw. Exzellenzförderung erhalten. Mittlerweile haben wir schon März, und die Förderungen sind noch nicht ausgeschrieben. Damit stellt sich für uns und alle anderen geförderten Gruppen die Frage, was passiert ab Juli, wenn die aktuelle Förderung ausgelaufen ist.
Aufgrund dieser Situation steht das gesamte Modell in Frage, auf dessen Basis wir seit zwölf Jahren arbeiten. Ein Modell, das wir dank der Förderung kontinuierlich weiterentwickeln konnten. Es ist so. Die 300.000 Euro, die wir in den drei Jahren der Exzellenzförderung erhalten haben, dienen mitnichten dazu, all die Projekte zu finanzieren, die wir in dieser Zeit realisiert haben. Insgesamt waren es 14. Da wir am Ende dieser Förderperioden immer eine Evaluation für das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen erstellen, kann ich recht genau sagen, was wir mit der Fördersumme erreicht haben. Wir haben im Lauf dieser Zeit auf der Basis dieser 300.000 Euro insgesamt 1,3 Millionen Euro an Gesamtvolumen für die Projekte gehabt.
Basis für weitere Förderungen
Wir konnten also etwa eine Million an zusätzlichen Fördermitteln akquirieren. Eine derartige zusätzliche Akquise ist nur auf der Grundlage von dieser Förderung möglich. Denn sie ermöglicht uns, Mitarbeitende zu haben, mit denen wir in diesen drei Jahren 14 Produktionen beantragen, planen, realisieren und am Ende auch abrechnen konnten. Ohne ein Team, zu dem ebenso jemand gehört, der unser Finanz- und Administrationsmanagement macht, wie eine Produktionsleitung und jemand, der sich um Social Media und Öffentlichkeitsarbeit kümmert, wäre diese Form von künstlerischer Produktivität nicht denkbar.
Außerdem ermöglicht uns das Geld aus der Exzellenzförderung, den notwendigen Eigenanteil zu Koproduktionen mit Stadttheatern, Festivals und internationalen Partner zu leisten. Dank dieser Summen, das können je nach Projekt 5.000 bis 10.000 Euro sein, agieren wir mit unseren Partnern auf Augenhöhe. Es ermöglicht uns, Anträge anzustoßen, die wir dann auch schreiben und zum Teil mit und für die Partnerinnen entwickeln. Schließlich haben wir in dieser Hinsicht mehr Expertise als beispielsweise eine Dramaturgie in einem Stadttheater oder auch Partnerinnen in Kamerun oder anderen Ländern, mit denen wir kooperieren. Das heißt, NRW und diese Förderung versetzen uns in die Lage, in der Welt des Theaters ziemlich autonom und stark aufzutreten.
»Alles steht infrage. Wir wissen nicht, ob wir die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, überhaupt noch finanzieren können.«
Fabian Lettow
Da noch kein neuer Zyklus der Förderungen ausgeschrieben ist, steht dies alles ab Juli infrage. Wir wissen nicht, ob wir die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, nach Juni überhaupt noch finanzieren können. Also müssen wir innerhalb unseres Teams fragen, wer das Risiko eingehen kann, trotzdem erst einmal bei uns zu bleiben. Außerdem fehlen die Mittel, um mit Partnern neue Projekte anzustoßen. Wir sind also darauf angewiesen, um provisorische Vereinbarungen zu bitten, die aber nicht jedes Stadttheater, nicht jede unserer internationalen Partnerinnen, ermöglichen kann. Schließlich unterliegen all unsere Partnerinnen eigenen Zwängen. So entstehen zwangsläufig Lücken, die sich auch dann nicht einfach schließen lassen, wenn die Förderungen in nächster Zeit noch ausgeschrieben würden. Was passiert, sollten diese Förderprogramme ganz gestrichen werden, möchte ich mir gar nicht vorstellen. In beiden Szenarien besteht ein großes Risiko, dass Strukturen, die über Jahre gewachsen sind, einfach verschwinden.
Aufgezeichnet von Sascha Westphal
NAME: Fabian Lettow
ALTER: 46
BERUF: Regisseur, Autor und Dramaturg
WOHNORT: Bochum
Seit 2012 fördert das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW freie Theatergruppen mit jeweils auf drei Jahre angelegten Programmen. Der gegenwärtige Zyklus der Spitzen- bzw. Exzellenzförderung läuft jedoch Ende Juni aus – und ein neuer ist noch nicht ausgeschrieben. Das stellt freie Theaterkünstler wie Fabian Lettow vom kainkollektiv vor existentielle Fragen.
Das kainkollektiv zeigt »La Laliki Land« als Koproduktion der Ruhrfestspiele
am 24. und 25. Mai in der Halle König Ludwig 1/2.