Es ist »a Schlagerl, das a bisserl bamstig macht«. Was Wienerischer niedlich klingt, heißt in hochdeutscher Brutalität: Joachim Meyerhoff hat einen Schlaganfall. Ein 1,5 Zentimeter großes Insultareal im linken Kleinhirn, das im medizinischen Fachjargon das romantitelgebende »hintere Stromgebiet« ist und das die linke Körperseite lahmlegt. Meyerhoff, der von sich selbst empört schreibt: »Ich war doch kein Alki, kein Druffi, kein Fetti, kein Depri und kein Opi« – Meyerhoff, der Bühnenberserker der Wiener Burg also fällt am 5. Dezember 2018 völlig aus der Rolle. Eben noch sitzt der damals 51-Jährige mit seiner kleinen Tochter am Küchentisch und spielt guter Vater, der bei den Hausaufgaben hilft. Dann: Krankenwagen, Intensivstation, Nachthemdchen mit entblößtem Po, Pinkelflasche im Bett und wann immer ein Arzt, Therapeut oder Pfleger auftaucht, dieselbe alberne Geste: Mit dem Zeigefinger an die Nase tippen. Geht aber nicht. Der linke Arm hat sich für autonom erklärt und vollführt seine eigene Choreografie.
Lustvolle Sprachpotenz
Bislang erzählten die millionenfach verkauften Bücher des mittlerweile an der Schaubühne Berlin engagierten Meyerhoff vom Leben als Schmierenkomödie, als miserable Abfolge von Pannen und Peinlichkeiten. Der Tod spukte auch da schon durch die Romane, meinte aber immer die anderen. Jetzt rückt die Vergänglichkeit plötzlich ihm selbst auf den Leib. Jäh wird er seiner Unverletzlichkeits-Hybris beraubt. Nicht abhanden kommen ihm dagegen sein wunderbarer Humor. Seine lustvolle Sprachpotenz. Seine Begeisterung für die Schnurren und Schrullen seiner Mitmenschen. Und man liebt ihn lesend zurück für seinen philanthrophischen, fantasiebegabten Spot auf die Allüren unserer Spezies.
Die Tragödie in eine Komödie verwandeln. Der Humor als Taktik, sich selbst auch im Stolpern noch eine schiefe Krone aufzusetzen und so zum souveränen Autor seines eigenen Lebens zu machen – mit dieser sympathischen Leitidee fürs Schreiben unterscheidet sich der neue Roman »Hamster im hinteren Stromgebiet« also überhaupt nicht von den vorherigen Folgen seines literarischen Biopics. So lacht man über den im Krankenwagen Goethe-Verse rezitierenden Patienten, der sich selbst bald als »Lord Stroke Unit der Erste« wähnt und zwar kaum gehen kann, aber nachts wie ein Ballett-Eleve an der Stange tanzt nach dem Motto: wenn schon erbärmlich, dann gründlich. Meyerhoff parodiert zupackend unsensibles Pflegepersonal, surreale Arztvisiten, anarchische Ess-Burlesken im Schlaganfall-Speisesaal.
In den Nächten aber packt ihn die Angst. Dann ploppen auch schon mal Selbstzweifel und Lebensbilanzen im wehrlos-wunden Hirn auf: War er bislang ein guter Vater? Ist das Turbotempo seines Lebens schuld am Körperkollaps? Aber nur kurz, eine metaphorische Aufladung seiner Erkrankung ist ihm dann doch zu überspannt. Überhaupt: Reflexionen und Tiefsinn waren noch nie Sache der Meyerhoff’schen Literatur. Die Abschweifung dagegen schon. Ans Bett gefesselt inszeniert er sein eigenes Kopfkino, wiederholt Urlaubsreisen in den Senegal oder nach Mallorca und die schrägsten Anekdoten aus dem Leben einer Patchwork-Familie mit zwei Müttern und drei Kindern. Szenen mit vielen Tränen, die dann doch eine Meyerhoff’sche Message parat haben: Lebensintensität braucht keine Hyperaktivität, kein Spiel auf vielen Bühnen. Sondern einfach nur: ganz viel Gefühl.
Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 307 Seiten, 24 Euro