Als Künstlerin wollte sie ihren Adelstitel am liebsten verschweigen. »Es gibt hier in Holland sehr viele Jonkvrouwen, die Maler und Musiker sind«, bemerkte Jacoba van Heemskerck. Vermögende Hobbykünstlerinnen, die ihre Herkunft hochhielten – das lag ihr fern. Die junge Frau bestand darauf, ebenso wie die männlichen Kollegen, ausschließlich über ihre Kunst definiert zu werden. Allerdings reichte der unterschlagene Adel kaum zur Gleichberechtigung. Und so erging es ihr wie so vielen Künstlerinnen, die einst die Moderne vorangetrieben hatten, und deren Leistungen nach dem Tod sehr schnell in Vergessenheit gerieten.
Erst seit den 1980er Jahren holt man Heemskercks Bilder gelegentlich hervor und widmete der 1876 geborenen Künstlerin auch die ein oder andere Einzelausstellung. Zuerst in Heemskercks Heimatstadt den Haag, wo die größte Sammlung ihrer Werke bewahrt wird. Eine schöne Auswahl hat das dortige Kunstmuseum jetzt auf die Reise geschickt.
Aktuell macht die Ausstellung mit rund 60 Gemälden, Zeichnungen, Holzschnitten, Bleiglasfenstern und Mosaiken Halt in der Kunsthalle Bielefeld. Nicht ganz zufällig. Hat sich das Haus in den letzten Jahren doch immer wieder um den weiblichen Part der Moderne gekümmert. Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp kamen in Bielefeld zu Ehren. Und noch vielmehr Kolleginnen wurden gewürdigt in einer Gruppenschau, die sich 2015/16 der »Moderne der Frauen in Deutschland« widmete.
Spannend wäre es sicher gewesen, hätte man diesmal der modernen Frau einen prominenten Mann zur Seite stellen können. Denn in den frühen Jahren zeigen sich erstaunliche Parallelen im Schaffen von Piet Mondrian und Jacoba van Heemskerck. Zunächst beschäftigten sich beide mit dem Luminismus, die Ausstellung zeigt zum Beispiel »Zwei Bäume«, von Heemskerck 1910 mit kurzen breiten Pinselstrichen und klaren Farben auf die Leinwand getupft. Zwei Jahre später dann begann die Künstlerin, in grau-braunen Landschaften und »Kompositionen« die Möglichkeiten des Kubismus auszutesten – genau zur gleichen Zeit hat Mondrian damit experimentiert.
In ihrer ganzen künstlerischen Entwicklung hatte Heemskerck einen wesentlichen Vorteil gegenüber vielen Künstlerinnen ihrer Generation. Sie musste ihre Kunst nicht unterordnen, stand nie im Schatten eines Partners oder Ehemannes. Heemskercks Lebensgefährtin Tak van Poortvliet war ihr größter Fan. Und noch dazu ziemlich vermögend. Sie hat die Freundin ein Leben lang unterstützt, weil sie wusste »besonders für eine Frau ist es alles andere als einfach, eine Pionierin zu sein«.
In der gemeinsamen Villa in Domburg arbeitete Heemskerck im eigenen Atelier. Hier verbrachte das Paar wunderschöne lange Sommer – von Juni bis Oktober – im Kreise avantgardistischer Künstler, von denen sich immer mehr tummelten. Auch Mondrian kam gerne her und wohnte gelegentlich bei den Damen. Bis 1913 tauschten Jacoba und Pieter intensiv ihre Ideen über eine neue Kunst aus und arbeiteten zuweilen Seite an Seite, einmal sogar am selben Baum-Motiv. Beide fühlten sich von der Theosophie und Anthroposophie angezogen.
Während der vier Jahre ältere Mondrian mit dieser Vorgeschichte allerdings zu seinem geometrisch abstrakten Ausdruck kam und in Paris eine künstlerische Heimat suchte, fand Heemskerck Anschluss in Herwarth Waldens Berliner Kunstunternehmungen. Der Komponist, Kunstkritiker und Galerist war damals eine Ausnahmeerscheinung. Denn neben Künstlerhelden wie Marc, Klee, Kandinsky rückte Walden in seiner Zeitschrift »Der Sturm« und der gleichnamigen Galerie auch die Frauen mit Nachdruck ins Licht: Münter, Werefkin, Sonia Delaunay, Hilla van Rebay. Man zählt um die 30, die er förderte.
Heemskerck war bereits bei Waldens erstem Herbstsalon 1913 dabei und gelangte mit dem »Sturm« im Rücken rasch zum ganz eigenen Ausdruck: Eine strenge, kraftvolle, expressive Sprache, geprägt von intensiven Farben und dicken schwarzen Umrisslinien. Auf beschreibende Bildtitel verzichtet die Künstlerin nun: »Farbe und Linien haben für alle eine verschiedene eigene Sprache der nicht im Titel fest gelegt werden soll«, so ihr Kommentar.
Die Schau zeigt dunkle Stämme und Äste, die kreuz und quer das Bildfeld durchziehen, und weiße Segel, die sich als spitze Dreiecke auf bewegtem Blau reihen. Doch auch wenn Schiffe, Fische, Bäume und Landschaften weitgehend abstrahiert erscheinen, verschwinden sie doch nie so ganz aus ihrer Kunst. Heemskerck hält fest am Gegenstand, und macht etwas anderes daraus.
Bei künstlerischen Fragen und vor allem in geschäftlichen Belangen waren Walden und seine Ehefrau Nell über viele Jahre ihre ersten Ansprechpartner – das belegen nicht zuletzt 269 überlieferte Briefe. Auch persönliche Treffen gab es öfters, wenn die Waldens in Domburg vorbeischauten oder Heemskerck in Berlin weilte, um an der Sturm-Kunstschule zu lehren. Die Niederländerin überließ dem drahtigen Mann mit dem Zwicker das alleinige Verkaufsrecht an ihren Werken und der widmete ihr immerhin zehn Einzelausstellungen. Damit nahm Heemskerck einen Spitzenplatz ein – nur Oskar Kokoschka konnte mehr Werke präsentieren. Auch auf dem Cover von Waldens Zeitschrift »Der Sturm« kam Heemskerck immer wieder groß heraus mit Holzschnitten, die perfekt ins Programm passten.
Für Heemskerck aber war dies nicht das Ende ihres kurzen, aber intensiven künstlerischen Weges. Inspiriert von der Anthroposophie Rudolf Steiners, wollte sie ihre Bäume, Schiffe, Landschaften »leuchtend, geistlich« gestalten und versuchte die Farben deshalb möglichst transparent erscheinen zu lassen – das funktionierte am besten in Glasfenstern. Die Künstlerin schaffte sich dafür eigens einen Ofen an. Und die Ausstellung in Bielefeld kann einige strahlende Ergebnisse daraus präsentieren.
Walden indes fing wenig an mit Jacobas Fenstern, und Heemskerck sah die Qualität im Sturm schwinden. Deshalb trennten sich in den 1920er Jahren die Wege. Aber nicht so ganz. Als Heemskerck 1923 mit nur 47 Jahren starb war es Walden, der ihr eine Gedächtnisausstellung widmete. Zur Eröffnung hieß es in der Sturm-Zeitschrift: »Hollands größte Malerin, die auch alle holländischen Maler überragt, ist Anfang August 1923 gestorben, ohne von den internationalen Hanswursten in ihrem Rang und ihrer Bedeutung erkannt worden zu sein.«
Jacoba von Heemskerck – Kompromisslos modern
bis 5. September 2021 in der Kunsthalle Bielefeld