Im Mittelpunkt von Damian John Harpers Film »Frisch« steht Kai, ein junger Familienvater. Sein ohnehin prekäres Leben gerät aus den Fugen, als sein gewalttätiger Bruder Mirko, dem Kai Geld schuldet, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird.
Weshalb die Frakturschrift im Vorspann? Weshalb die prollige Erzählstimme im Revierdialekt, die einem aus dem Off als innerer Monolog von Kai das Ohr abkaut? Fragen, die unbeantwortet bleiben. Der Schauplatz, die Ruhrgebiets-Provinz, fordert von seinen Figuren: »Alles. Nur nicht hierbleiben.«
Rückblenden in die Kindheit und die erwachsene Gegenwart wechseln sich ständig ab. Da sind zwei kleine Jungen, die nichts haben außer sich selbst und zusammenhalten wollen wie Winnetou und Old Shatterhand. Die Mutter – tot. Der grobschlächtige und gewalttätige Onkel nimmt sie auf, der den Brüdern fremd und verhasst ist. Mirko (Franz Pätzold) reagiert unkontrolliert aggressiv und landet im Knast: »eine Gefahr für die Gesellschaft« laut Gericht. Auch Kai (Louis Hofmann) gerät mit dem Gesetz in Konflikt, aber kommt zunächst glimpflich davon. Ein Kreislauf: Drogen, Alkohol, Gewalt und ein krummes Ding nach dem anderen, an denen man schnell Interesse verliert.
Regisseur Damian John Harper leistet Übersetzungsarbeit: »Frisch« nach dem Roman von Mark McNay hat das ursprüngliche Milieu von Schottland ins Ruhrgebiet umgesiedelt und lässt die soziale Misere nun im Pott aus allen Poren schwitzen. »Wat willse?« als Grundton. Das konnten Adolf Winkelmann und Ralf Rothmann – übrigens auch »Schimanski« – besser, genauer und beherzter.
Viel Dunkel. Schummriges Licht. Nebelschwaden. Verlotterte und versiffte Trostlosigkeit. Mieses Wetter, bei dem selbst toughe Jungs die Schultern hoch- und den Kopf einziehen. Äußerst verknappte (trotzdem hölzerne) Dialoge. Mitteilungs- und Kumpel-Prosa zwischen Maloche, Kneipe, Wettbüro und Fernsehcouch.
Der Film sieht aus wie eine Fingerübung aus Genre-Versatzstücken, die zwar zusammenpassen, aber kein Ganzes ergeben. Schade, denn um Louis Hofmann und Franz Pätzold tut es einem leid, dass deren Talent in mittelmäßigen Produktionen verschwendet und abgenutzt wird. Wenn bei »Frisch«, sage und schreibe, neun Förderinstitutionen bei der Finanzierung mitwirkten, darf man schon wissen wollen, ob überhaupt irgendjemand mit kritischer Kompetenz das Exposé oder Drehbuch gelesen hat.
»Frisch« lässt seinen Helden nicht aus den Augen: Kai, der im Schlachthof am laufenden Meter das Messer in tote Schweine versenkt, Kai, der zu früh Ayşe heiratet, die bei der Hochzeit schwanger ist, Kai, der Mirko Geld schuldet und es sich irgendwie beschaffen muss, Kai, der dem Muster von Kain und Abel folgt. Das ist die ganze Geschichte, bei der es auf das ankäme, was zwischen den Schlagzeilen des Plots und einer leerlaufenden Dynamik liegt. Da ist aber nichts oder jedenfalls zu wenig. ***
»FRISCH«, REGIE: DAMIAN JOHN HARPER, D 2024, 98 MIN., START: 3 JULI