Der reiche Onkel kommt nicht aus Amerika, wie es einmal bei uns sprichwörtlich war und noch in Edgar Reitz’ »Heimat« zum Motiv wird, sondern aus Hamburg, der Hafenstadt, der Kontore der Pfeffersäcke und ehrbaren Kaufleute, deren Geist es bald nun wohl zum zweiten Mal ins Kanzleramt schaffen wird.
»Borga« steht im Ghanaischen als Abkürzung für ›Hamburger‹ und meint nicht den Fast-Food-Happen, vielmehr den wohlhabenden Deutschen bzw. Rückkehrer aus dem reichen Europa nach Afrika. Ein bisschen Protzsucht und Hoppla-was-kostet-die-Welt-Attitüde schwingt darin auch mit.
Der Film von York-Fabian Raabe, der schon beim Filmfestival Münster zu sehen war und zuvor beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken mehrere Preise, darunter den Schauspielerpreis für den Düsseldorfer Eugene Boateng erhielt, spielt zu Teilen in Ghana. Dort spricht der Mensch nicht Deutsch, wie es uns in gängigen auswärtigen Produktionen gern untergeschoben wird, sondern seine Muttersprache und regionale Dialekte. So auch hier. Wirklichkeit wird nicht synchronisiert.
Überhaupt ist es Boateng zu danken, dass »Borga« von innen her leuchtet. Er gibt seiner Figur Präsenz und authentische Relevanz und bewegt sich souverän und spielhaft-real auf der Skala der Gefühlshaltungen zwischen Härte und Weichheit, Zorn und Schmerz, Machen und Gemacht-Werden.
Vorbereitet hat Raabe »Borga« durch zwei Kurzfilme (»Zwischen Himmel und Erde«, »Sodoms Kinder«), die er als eine Art Local Scout bereits in Afrika gedreht hatte und worin er u.a. über eine Elektroschrott-Deponie berichtet, auf der Heranwachsende den Müll durchforsten nach verwertbarem Verkaufs-Material. Auch Kojo, der mit seinem Bruder in einem Vorort der Hauptstadt Acra aufwächst, tut das. Aber er will etwas anderes, will sein Glück machen – in der Fremde.
Unbehaust
Vier Jahre später: Kojo ist in Mannheim. Von den Fährnissen seiner Überfahrt und der Immigration haben wir nichts gesehen. Das ist nicht Thema des Films. Kojo soll uns nicht als Umhergetriebener begegnen, der nicht Herr seines Schicksals wäre. Aber, und dies ist eine bittere Wahrheit: Wieder sammelt er Elektroschrott, um ihn nach Ghana zu exportieren, und wohnt in einem Container. Seine Zeit im Goldenen Westen verbringt er zunächst vor allem in der Gruppe seiner Landsleute und mit seiner deutschen Freundin Lina (Christiane Paul). Als er sich in illegale Drogen-Kurier-Unternehmungen verwickelt, verändert sich sein Äußeres und täuscht die Leute in Ghana.
Dort sorgen sein Geschäft und sein Auftreten dafür, dass die Familie des »Borga« im Ruf steht, Geld zu haben und deshalb höhere Preise für Lebensmittel auf dem flexibel eingerichteten Markt bezahlt. Kojo ist ’dazwischen’, hier noch nicht, dort nicht mehr zuhause. Unbehaust in seiner sozialen, moralischen, emotionalen Existenz. Auch eine Art Franz Biberkopf, wie Burhan Qurbani ihn zuletzt in seinem »Berlin Alexanderplatz« aufgefrischt hat. Und auch dies, wenn man so will, u.a. ein Gangster- und Kriminalfilm. Dass »Borga« sich für keine Genre-Zuordnung entscheidet, könnte eine Stärke sein. Ist es aber nicht, verrät eher Unsicherheit, die gemeinsam mit der Gefälligkeit handwerklicher Stilmittel den Eindruck entkräftet, den seine Hauptfigur und dessen Darsteller hinterlassen.
»Borga«, Regie: York-Fabian Raabe, D / Ghana 2021, 104 Min., Start: 28. Oktober