kultur.west: Frau Meis, Frau Dreckmann, wie kommt man darauf, ein Qualleninstitut zu gründen?
MEIS: Wir haben uns gefragt, was sind das eigentlich für Wesen? Dabei haben wir gemerkt, wie wenig wir über diese Tiere wissen, die man im Badeurlaub nur im negativen Sinne kennt.
kultur.west: Was haben Quallen mit Kunst zu tun? Gibt es da überhaupt Material?
DRECKMANN: Da gibt es schon einiges. In der freien Natur sieht man meist diesen glibbrigen Haufen. In der Kunst geht es um Ästhetik, die bei Quallen aber nur beschränkt erkennbar ist. Frei entfaltet sieht man sie nur im Aquarium oder mit der Taucherbrille im Meer. Nur unter ganz bestimmten medialen und ökologischen Bedingungen zeigt sich die Ästhetik der Medusen. Wir greifen mit dem Qualleninstitut auf diese Grundkonstellation zurück und haben wissenschaftsgeschichtlich recherchiert, wer sich mit ästhetischen Darstellungen zwischen Natur und Kunst auseinandergesetzt hat.
MEIS: Wir stießen schnell auf ein Werk, in dem Kunst und (Natur-)Wissenschaft zusammenkommen – die Arbeiten von Ernst Haeckel, der als Naturforscher im späten 19. Jahrhundert Zeichnungen von Quallen und anderen Meeresorganismen erstellte, dabei aber auch gleichzeitig Kategorisierungen vorgenommen hat. Seine Aufzeichnungstechniken waren schon damals verknüpft mit ästhetischen Vorstellungen.
DRECKMANN: Das war der Ausgangspunkt unserer Forschungen, aber ästhetische Adaptionen finden sich auch unzählige in der Pop-Kultur. In Björks Musikvideo »Oceania« spielen Quallen eine große Rolle. Und es gibt die Netflix-Serie »Ad Vitam«, die sich mit der Eigenschaft einer Quallenart auseinandersetzt, in gewisser Weise unsterblich zu sein.
MEIS: Einer unserer favorisierten Texte stammt von Paul Valéry, der sich fragt, ab wann sich Tanz von einer alltäglichen Bewegung unterscheidet? In seinem Essay »Über den Tanz« beschäftigt er sich mit der Ästhetik der Quallen und beschreibt sie als die absoluten Tänzerinnen. Das, was eine Balletttänzerin immer anstrebt und nie erreichen kann, nämlich zu schweben und gelenk- und knochenlos zu sein, das hat Valéry in den Quallen gesehen.
kultur.west: Ihr Qualleninstitut versteht sich als »elastische und diaphane Stätte zwischen Wissenschaft, Medien und Kunst«. Es ist also kein fester Ort, oder soll sich das zukünftig ändern?
MEIS: Wir denken schon in die Richtung, das Qualleninstitut in Zukunft zu institutionalisieren. Uns ist wichtig, was die Formate und Genres angeht, dass wir uns da immer in den Zwischenräumen bewegen. Wir kooperieren mit Künstlerinnen und Künstlern, und ebenso mit Meeresbiologinnen und Meeresbiologen. Darum geht es: Quallen als mediale Denkfigur – und wie man diese an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst mit wissenschaftlich-künstlerischen Formaten vermittelt.
DRECKMANN: Trotzdem wird das Qualleninstitut auch weiterhin an unterschiedlichen Orten sichtbar werden. Wir sind immer wieder Teil diverser Festivals, letztes Jahr waren wir zum »jellyfish blooms symposium« nach Kapstadt eingeladen. Wir haben den Eröffnungsvortrag gehalten, aber als Sound-Video-Lecture. Das war sehr spannend, weil wir dort die einzigen Geisteswissenschaftlerinnen waren, die auf eine Horde Meeresbiologen getroffen sind. Da haben wir gemerkt, dass man bei aller Interdisziplinarität erst mal eine gemeinsame Sprache finden muss. Auf der anderen Seite installieren wir Ausstellungen an verschiedenen Orten. Die »Diaphane Mediale« war unsere erste Veranstaltung in Düsseldorf. Danach folgte 2019 die »Fluide Mediale«, eine wissenschaftliche Tagung mit integriertem Ausstellungsprogramm im Düsseldorfer Aquazoo, in Zusammenarbeit mit dem Studio for Artistic Research in Flingern.
kultur.west: Woran arbeiten Sie momentan in diesen Corona-Zeiten? Sind weitere Medialen geplant?
DRECKMANN: Die schleimige Mediale! (lacht.)
MEIS: Wir suchen noch einen besseren Titel. Wir wollen uns mit Schleim, Gallert, Gelatine auseinandersetzen. Ansonsten hat Corona uns auch erwischt. Deswegen haben wir unsere momentane Tätigkeit auf das Schreiben verlagert. Wir sind gerade dabei, verschiedene Publikationen ins Rollen zu bringen. Etwa einen Sammelband zur »Fluiden Mediale«. So kann man die Zeit produktiv nutzen, bis wieder mehr möglich ist. Fernab von gestreamten Konferenzen, Ausstellungen und Konzerten im digitalen Raum.