Welten. Startete man in einem Fußballstadion eine Umfrage, wer sich unter den Zuschauern für Ballettkunst interessiert, dürfte das Ergebnis – zugegebenermaßen eine klischeehafte Schätzung – kaum ein zweistelliges Prozent-Ergebnis erreichen. Umgekehrt dürfte die Begeisterung für Fußball bei den Tanzfans ähnlich schwach sein. Eleganz, Schwerelosigkeit, Fragilität hier – Grobheit, Erdverbundenheit und Robustheit dort. Während die Ballerinen in blütenweißen Tutus auftreten, machen sich die Kicker dreckig. Doch bei genauer Betrachtung ist diese Denke überholt. Wer einmal Pina Bauschs »Sacre du Printemps« gesehen hat, weiß, dass die in Torf tanzende Menge am Ende schmutziger ist als jedes Fußballteam nach einem Derby. Und an Robustheit mangelt es Tanzkünstler*innen nicht – man betrachte nur die hart trainierte Muskulatur. Und Eleganz, ja, bisweilen gibt es die durchaus auch auf dem Platz – wie diverse Fotografien unter den über 100 Aufnahmen aus den vergangenen 70 Jahren in der Sonderausstellung »Exzellente Fußarbeit« im Theatermuseum Düsseldorf hochästhetisch belegen.
Zu Beginn bietet das kreative Team des Museums seinen Besucher*innen ein sportlich wie tänzerisch unverzichtbares Warm-up an. Auf einem Kunstrasen wartet eine Ballettstange auf Elev*innen, die ihre Beine schwingen. Aufmerksamkeit ist ihnen sicher, denn die Fotowand gegenüber zeigt jubelnde Fortuna-Fans.
Wandhohe Stoffbahnen in der Mitte des ersten Raumes stellen beide Disziplinen gegeneinander. Beim Eintreten fällt der Blick sogleich auf die große Ballerina Joan Cadzow in einer anrührenden Szene aus dem Solo »Der Sterbende Schwan« – Inbegriff der Poesie. Sie kauert am Boden, versucht einen letzten Flügelschlag. Umso fragiler wirkt die damals 47-Jährige, als der Fotograf Rudolf Eimke 1977 die Belichtungszeit so lang eingestellt hat, dass die Arme ganze Schwanenflügel zu zeigen scheinen. Ein energetisch gegensätzliches, aber ebenfalls großartiges Solo fing der Sportfotograf Frederic Scheidemann ein beim Match Fortuna Düsseldorf gegen VfL Osnabrück am 6. Oktober 2023: Er hielt den Sekundenbruchteil messerscharf fest, in dem Daniel Ginczek, den Blick fokussiert wie eine Katze beim Sprung auf die Maus, das linke Bein aus der Hüfte hochreißt, um den Ball zu stoppen und unter seine Kontrolle zu bekommen. Der Oberkörper leicht verdreht mit gespreizten Fingern. Als setzte er an zum Grand Jeté.
In einen Dialog treten zwei weitere Stoffbahnen: Fortuna-Spieler Matthias Zimmermann wirft sein rechtes Bein, lang ausgestreckt wie zum Spagat, vor den Fuß des Gegners und reißt, in der Grätsche, die Arme hoch. Scheidemann fing den Abwehrspieler im perfekten Moment des Zweikampfs ein, mitten in der geradezu tänzerischen Bewegung beim Spiel Fortuna Düsseldorf gegen Hannover 96 am 21. Mai 2023 in der Merkur-Spiel-Arena). Gegenüber diesem Szenario tanzen – oder kämpfen? – Futaba Ishizaki und Vinicius Vieira miteinander in William Forsythes »Artifact« in einer Vorstellung von 2023. Wieder ein perfekter Moment, festgehalten von Daniel Senzek. Während Vieira zurückweicht, reißt sie das Bein hoch wie eine Waffe, der Fuß knapp vor seinem Gesicht. Exzellente Fußarbeit, keine Frage. Wirklich Welten?
Die Lust der Ausstellungsmacher am Spiel mit Gegensätzen und Gemeinsamkeiten der beiden »Teams« Ballett am Rhein und Fortuna Düsseldorf blitzt an vielen Stellen auf. »Wo sind die Unterschiede?« sind zwei auf den ersten Blick identische Ballettfotos überschrieben. Die beiden Bilder aus dem Jahr 1976 von Fred Kliché und Eduard Straub, beide langjährige Hausfotografen der Deutschen Oper am Rhein, zeigen einen Pas de deux aus »Die steinerne Blume«. Bei genauer Betrachtung sieht man unter anderem bei Straub in der Hebefigur noch den linken Fuß von Geneviève Chaussat, während er bei Kliché hinter dem Bein von Falco Kapuste verschwunden ist. So wirkt die Tänzerin schwereloser – zumal ihr anderes Bein Richtung Bühnenhimmel weist. Sascha Förster, Leiter des Theatermuseums, schmunzelt und erklärt, dass Kliché zuvor bei Proben zugesehen und sich die ideale Position vor der Bühne gesichert hatte.
Gewiss, manche Gemeinsamkeiten sind übers Knie gebrochen – augenzwinkernd. Unter der Überschrift »Zündeln« sieht man die Merkur-Spiel-Arena in Düsseldorf voller roter Rauchschwaden (Foto Frederic Scheidemann), dazu gesellt sich der Zigarrenqualm aus dem Mund von Mats Eks »Carmen« (Young Soon Hue) auf einem Bild Eduard Straubs (1998). Humor beweisen auch drei untereinander gehängte Aufnahmen, die nichts als Bein vom Oberschenkel abwärts zeigen: Die neue Frauenmannschaft der Fortuna beim Training, darunter das Ballett am Rhein zeitgenössisch-sportiv sowie ein Tanztraining auf Spitze.
Die überreiche Ausstellung zeigt nicht nur Bildmaterial. In den Vitrinen sieht man beispielsweise Schutzkleidung beider Disziplinen: Schienbeinschoner kontra Suspensorium. Außerdem jede Menge abgetragener Stollenschuhe, beispielsweise jene samt Werkzeug, die Egon Köhnen beim siegreichen Pokalfinale1980 trug. Deutlich eleganter natürlich ist der Spitzenschuh von Elke Holle-Riemenschneider, die in New York die Bretter punktierten, die die Welt bedeuten. Außerdem findet man reichlich Kostüme, Kostümentwürfe, Sammelbilder, Autogrammkarten, Riso-Drucke. Und Trikots! Darunter für jeden Fortuna-Fan ein Fetisch: Von den Toten Hosen gesponserte Trikots mit unverkennbarem schwarzen Totenkopf auf der Brust. Sie datieren vom Sommer 2001, als die Existenz von Fortuna gefährdet war und die Punkrocker als Trikot- und Hauptsponsor einsprangen.
So kreativ und vielseitig »Exzellente Fußarbeit« sich auch präsentiert, es gibt doch einiges, was man vermisst. Die Fotos stammen fast ausschließlich aus der Ära von Erich Walter (1964-1983) und der noch laufenden von Demis Volpi (2020-2024). Von der Tanzkunst der dazwischenliegenden Ballettchefs, darunter von Youri Vamos, Heinz Spoerli und Martin Schläpfer, gibt es wenig bis nichts. Was daran liegt, so Institutsleiter Sascha Förster, dass man den Bestand seines Hauses zeigen wollte und der aktuelle Ballettchef noch greifbar sei. Dokumente der anderen Chefchoreografen seien rechtlich schwierig.
Dennoch: eine warme Empfehlung für diese Schau, die beweist, dass zwischen Fußball und Ballett keine Welten liegen.
»Exzellente Fußarbeit«
bis 9. Februar
Theatermuseum Düsseldorf